Brief von Egon Schiele an Anton Peschka
ESDA ID
1263
Nebehay 1979
1182
Bestandsnachweis
Courtesy Kallir Research Institute, New York
Datierung
02.03.1917 (eigenhändig)
Material/Technik
Schwarze Tinte auf Papier
Maße
19,6 x 31 cm (Blatt)
Transkription
2. März 1917

Lieber A. P. – es freut mich, daß Du um den
20. d. M. [dieses Monats] nach Wien kommst. – ich bin täglich ab 4h frei.
und im Atelier zwischen ½ 6–8h sicher zu treffen. –
Sonntag den ganzen Tag. –
Nun höre:
Wir sind von neuem zusammengetreten. – „Kunsthalle“ –
in den größten Dimensionen läuft alles mit Riesenschritten.
– Es lag in der Luft. – Bildende Kunst, – Literatur, und
Musik. – Die ganze österr.[eichische] Künstlerwelt ist auf. –
Die Gründer sind Künstler und Künstlerfreunde. Unteren anderen
sind Arnold Schönberg, Gustav Klimt, Jos. Hoffmann, A.
Hanak, Peter Altenberg u. viele andere mit. – Die
besten Kunsthistoriker u.s.w., es ist kein Verein – es
gibt nur Arbeitsgruppen. – Folgend unser Aufruf:
Seit das blutige Grauen des Weltkrieges über uns hereinbrach,
sind wohl manche schon innegeworden, daß die Kunst mehr ist,
als eine Angelegenheit des bürgerlichen Luxus. Wir wissen,
daß die Zeit des kommenden politischen Friedens die große
Auseinandersetzung bringen wird zwischen den materialisti-
schen Tendenzen unserer Zivilisation und jenen Resten
edler Kultur, die uns das merkantile Zeitalter noch gelassen
hat. Angesichts solcher Tatsachen hat jeder geistige Mensch
die Pflicht, das österreichische Kulturgut vor dem Untergang
zu bewahren und die Pläne einer Jugend verwirklichen
zu helfen, welche einen neuen Aufbau beginnen und mit
den Schäden der Vergangenheit unbedingt brechen will.
./.
||
Es muß der Weg für jene bereitet werden, die demnächst aus dem
Kriege wieder heimkehren werden, sie müssen die Möglichkeit
finden, in Reinheit zu schaffen und zum allgemeinen geistigen
Wohle zu wirken. Daher tut es not, die aufstrebende Genera-
tion vor der Isolierung zu schützen und sie vor der Trennung
von dem lebendigen Leben zu bewahren. Zu diesem Zwecke
haben sich junge unabhängige Menschen in der Absicht
zusammengetan, einen geistigen Sammelpunkt zu
schaffen und haben einen Ausstellungs- beziehungsweise Vortrags-
raum gemietet, um daselbst Malern, Bildhauern,
Architekten, Musikern und Dichtern die Möglichkeit zu
bieten, mit einem Publikum in Verbindung zu treten,
daß [!] sich gleich ihnen gegen die immer mehr fortschrei-
tende, kulturelle Zersetzung zu wehren bereit ist.
Diese junge Schar von Unabhängigen wagt den Versuch,
ob sie nicht doch gegen den Zeitgeist ankämpfen könne,
der alles in materiellen Interessen erstickt und die
unbequemen Künstler zum Schweigen verurteilt.
Dieser Versuch muß gemacht werden, denn es naht die
Zeit, wo die Geister sich scheiden müssen vom Ungeist:
aus Selbsterhaltung, aus dem Gefühl unüberwindlichen
Ekels und aus Liebe zu jenem Menschheitsideal, das
in uns noch immer lebt und das in seiner kulturellen
Wirksamkeit zu schützen die höchste Aufgabe jeder
Jugend bleibt.
Was wir da unternehmen ist nicht das Ergebnis
einer vorübergehenden Laune, es ist eine sittliche
und patriotische Tat zugleich. Wer hier abseits steht,
der würde dem österreichischen Geistesleben einen nicht mehr
||
gutzumachenden Schaden zufügen. Denn wir wollen heraus
aus der Stagnation und die Kräfte freudig wirken sehen,
die unserem Boden entsprungen sind, wir wollen, daß die
Landflucht der Talente aufhöre und daß alle jene zu
Österreichs Ehre schaffen dürfen, die Österreich hervorgebracht hat.
Wir stehen an einem Wendepunkt der Geschichte und im
Bewußtsein der Einmaligkeit dieses Augenblicks halten
wir es für unsere menschliche Pflicht, zu beweisen, daß wir
nicht teilnahmslos blieben, als es das Edelste auf dieser
Welt – den ererbten Kulturbesitz von Jahrhunderten –
zu schützen und zu retten galt, für den Geist Zeugnis
abzulegen und Opfer zu bringen.
Wir sind uns bei dem großen Umfang unserer
Bestrebungen über die Schwierigkeit ihrer Durchführung
vollständig im Klaren, aber wir tun das scheinbar
Unmögliche mit Freude und Begeisterung, weil wir jung
sind und weil es für unser Vaterland geschieht. Mögen
alle diejenigen, welche die Macht und die Möglichkeit haben,
in unserem Werke das Allgemeine zu fördern, nicht abseits
stehen, und mögen sie wissen, daß das unbefleckte
Andenken an gefallene Freunde und Kameraden uns
die heiligste aller Pflichten auferlegt: Diesen unvergeßlichen
Edlen im Geiste und in der Wahrheit treu zu bleiben.
Dies wird demnächst gedruckt:
„Information“
Es haben sich junge unabhängige Menschen in der Absicht
zusammengetan, die durch den Krieg zersprengten
Kräfte aller Kunstgebiete zu sammeln. Sie haben einen
Ausstellungs- beziehungsweise Vortragsraum gemietet, um daselbst
bildenden Künstlern, Dichtern und Musikern die Möglichkeit
||
zu geben, mit einem Publikum in Verbindung zu treten, das sich,
gleich ihnen, gegen die immer mehr fortschreitende kulturelle
Zersetzung zu wehren bereit ist.
Die „Kunsthalle“ dient nicht einer besonderen Kunstrichtung.
Sie veranstaltet keine Massenausstellung, sondern
stellt dem zu Worte kommenden bildenden Künstler
den Raum für seine Kollektivausstellung zur Ver-
fügung.
Der Künstler, an den der Saal kostenlos vergeben
wird, ist unbeschränkter Herr dieses Raumes.
Die Gründer bilden lediglich einen Veranstaltungs-
ausschuß, keinen Verein. Es gibt keine Mitglieder.
Der einzelne Künstler tritt in Beziehung zur „K“
entweder über deren Einladung oder über seine
Anmeldung.
Ein eventueller Reingewinn wird zur Gründung
eines Fonds zur Unterstützung notleidender österreichi-
scher Künstler verwendet.
Die Künstler werden unterstützt nicht durch Geld-
spenden sondern:
a) durch Ankäufe von Werken bildender Kunst und
Manuskripten.
b) durch Wettbewerbe.
c) durch Übersetzung fremdsprachiger Dichtungen.
d) durch eine zu schaffende Privatgalerie der
„Kunsthalle“. Aus dem Fonds der „K“ werden
Werke der bildenden Kunst angekauft und
./. II.

||

II.
u. so ein Museum neuer Kunst gegründet. Die Ankäufe der „K“
bleiben ihr Eigentum, so lange diese nicht weiter verkauft
werden. Der Mehrerlös wird dem Unterstützungsfond
zugewiesen. Dadurch kehrt das verausgabte Geld der „K“
aus dem Unterstützungsfond mit einem Plus in denselben
zurück. Die Geldkraft der „K“ wird dadurch nicht geschwächt.
e) Die „K“ ist ihr eigener Kunsthändler und Verleger.
Dies ist das Wichtigste.
Weil die „K“ ständig bleiben wird, – so werden wir
nach Friedensschluß auf einem bestimmten Grund
in der nächsten Nähe des Stadtparks unser Haus bauen.
Für das erste halbe Jahr sind uns bereits 30–40.000 K[ronen]
gesichert.

Gründer sind: alphabetisch
Berger Architekt
Grünwald Kaufmann
Kiesler Maler
Lampl Schriftsteller
Liegler " [Schriftsteller]
Merkl Maler
Rittner Schriftsteller
Schiele Maler

Mitbegründer sind:
Altenberg Schriftsteller
Hanak Bildhauer
Hoffmann Architekt.
Klimt Maler
Schönberg Komponist.

||

Jetzt kommen eine Anzahl von Protektoren,
Stifter, Unterstützer, Förderer, –
alles das wird gedruckt.
Wir geben ein Jahrbuch heraus, – außerdem wollen
wir Mappenwerke und vielleicht eine Monatskunst-
zeitschrift herausgeben. Im Eigenverlag.
vorderhand herzlichste
Grüße

EGON
SCHIELE
1917

Franz Pfemfert (die Aktion) versteht unter tonigen Zeichnungen
solche, wo ein Klischée gemacht werden muß.
Holzschnitte sind am einfachsten zu reproduzieren, –
jedes Exemplar ist original.

Die Staatsgalerie und das Museum in Graz erwarben
von uns Blätter und verhandeln wegen dem Ankauf
eines Gemäldes.
In Wien kommt in 2–3 Monaten eine Mappe von
12 meiner Blätter in Originalgröße heraus. Es
werden 400 Exemplare nummeriert und von mir
signiert herauskommen. Die Mappe wird K. 60–
kosten. – Gerti hat bereits das Bild. –

||

Bringe nur Altertümer mit,
Alte Figuren, je größer desto besser, alte
Bücher, farbige Tücher, Gewänder –
ich will alles gut bezahlen.
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt
Erfasst in
Roessler 1921, S. 118-123
Unterzeichner*in
Empfänger*in

Bibliografie

(+-)
  • Lányi/Schiele 1917
    Zeichnungen. Egon Schiele 1917. Im Verlage der Buchhandlung Richard Lányi Wien, Wien 1917 [Lányi-Mappe]
PURL: https://www.egonschiele.at/1263