Brief von Egon Schiele an Anton Peschka
Courtesy Kallir Research Institute, New York
ESDA ID
1252
Nebehay 1979
1170
Bestandsnachweis
Courtesy Kallir Research Institute, New York
Ort
Wien
Datierung
13.01.1917 (eigenhändig)
Material/Technik
Schwarze Tinte auf Papier
Transkription
13. Jänner 1917.
Lieber A. P. – Besten Dank für Deinen Brief. –
es freut mich daß Du Abonnent der Aktion geworden bist.
– wenn Du diesen Brief haben wirst, so werde ich bereits für
immer in Wien bleiben; – am 5. I. starb mein Schwiegervater [1]
an Altersschwäche, ich hatte ihn sehr gerne, er war groß und
mager, – 76 Jahre alt. – Im Frühjahr 1915 [korrekt: 1916] als ich in Liesing
war zeichnete und malte ich ihn. – Das Porträt ist 140 x 110 cm
groß – er sitzt. [2] – Und als ich zu den Leichenfeiern in Wien war,
nahm ich ihm die Totenmaske ab, – sie wurde sehr gut und
interessant. – In denselben Tage hörte ich daß [Stelle geschwärzt]
meine Zeichnungen aus der Aktion, Du für „Griepenkerls“ [3] Idee
hieltst. – ich gebe zu, daß gerade diese Blätter zahm sind –
nicht aber alle aus dieser Zeit. – In Wien werde ich täglich Zeit
haben zu arbeiten. – ich habe vor, ein großes Figurenbild zu
malen, mit allen meinen Nächstbekannten, lebensgroß, bei
einer Tafel sitzend, [4] – ich verhandle bereits mit einem
Hausherrn in Wien XIII., Wattmanngasse (Althietzing) wegen
einem neuen Atelier mit Wohnung im Garten, welches wir
ab Mai beziehen wollen. – Das Atelierhaus ist allein-
stehend rückwärts in einem schönen Rosengarten Althietzings
und besteht aus einem kleinen Atelier in der Größe von
4,60 meter x 5,30 meter und einem großen Atelier von
2 meter Breite und 10,80 meter Länge, außerdem sehr hoch
und an drei Seiten ringsum eine 2,20 meter breite Galerie,
– dann ein schönes Wohnzimmer und Diele (Stiegenhaus),
angebaut eine Kegelbahn. – Alles wird in nächster Zeit
hergerichtet werden. – Dort will ich von neuem [!] beginnen.
||
Es kommt mir so vor als ob ich mir bis jetzt die Werkzeuge
vorbereitet hätte. – Hoffentlich wird der Krieg doch in diesem
Jahr ein Ende nehmen, – so daß wir öfters zusammentreffen.
– ich hörte, – will daher, weil ich’s nicht selbst sah kein
Urteil abgeben, – daß Eure Wohnung in Hetzendorf
feucht sei und die Nachbarn unleidlich sind. – Lieber A. P.
wenn dem so ist, so möchte ich Euch doch raten eine komfortablere
Wohnung zu nehmen, von denen es z.B. in Hietzing genügend
gibt. – Abgesehen daß jetzt auch Fischer, Faistauer, Gütersloh [5]
u. s. w. in Hietzing ansässig sind, – es ist aber doch klüger
um sein Geld elektr.[isches] Licht, Wasser und trockene Räume zu
bewohnen. – Gleich mit diesem kann ich Dir mitteilen, daß
meine Bilder welche in Brüssel [6] waren von der deutschen
Verwaltung an mich geschickt wurden, – ich habe die Bilder
und auch Deines, [7] – welches jederzeit abgeholt werden kann.
– Bitte bringe mir auch was mit, – bunte Kleider oder
Holzfiguren u. s. w. – Schreibe mir wann Du wieder auf
Urlaub kommst und Ihr uns diesmal besuchen werdet.
– Der fortwährende Streit ist unschön und wir Menschen
sollen einander lieb haben. – Rößler [8] ist nicht mehr im
Kriegsarchiv, er dürfte mit der nächsten Marschformation
der 84ger in’s Feld gehen. – Faistauer ist bei der Paßrevision
in Salzburg am Bahnhof. – Gütersloh ist noch beim roten Kreuz
in Wien, Harta [9] ist beim Train in Mostar, Jungnickel [10]
in Bayern eingerückt und hat fast immer Urlaub und ist in
Wien, Kolig [11] ist im Kriegspressequartier, Wiegele [12] in
Algier in Gefangenschaft, Lang [13] in Moskau, nur Fischer
||
ist noch Zivil. – So sind wir alle zerstreut. – Kokoschka [14] wurde
durch Fürst Lichnowsky [15] von Berlin aus enthoben. – Er ist
mit seinen Nerven ganz kaput[t]. – In Deutschland
vielen [!] eine Reihe der jüngsten und zukunftsreichsten Künstler-
schaft. Oppenheimer [16] ist in Zürich (Zivil). Böhler [17] in Wien, er ist Schweizer.
Schreibe mir also wann Du auf Urlaub kommst und Treffen
wir uns dann alle zusammen in Wien.
Auf frohes Wiedersehn
Prosit Neujahr!
EGON
SCHIELE
1917
Lieber A. P. – Besten Dank für Deinen Brief. –
es freut mich daß Du Abonnent der Aktion geworden bist.
– wenn Du diesen Brief haben wirst, so werde ich bereits für
immer in Wien bleiben; – am 5. I. starb mein Schwiegervater [1]
an Altersschwäche, ich hatte ihn sehr gerne, er war groß und
mager, – 76 Jahre alt. – Im Frühjahr 1915 [korrekt: 1916] als ich in Liesing
war zeichnete und malte ich ihn. – Das Porträt ist 140 x 110 cm
groß – er sitzt. [2] – Und als ich zu den Leichenfeiern in Wien war,
nahm ich ihm die Totenmaske ab, – sie wurde sehr gut und
interessant. – In denselben Tage hörte ich daß [Stelle geschwärzt]
meine Zeichnungen aus der Aktion, Du für „Griepenkerls“ [3] Idee
hieltst. – ich gebe zu, daß gerade diese Blätter zahm sind –
nicht aber alle aus dieser Zeit. – In Wien werde ich täglich Zeit
haben zu arbeiten. – ich habe vor, ein großes Figurenbild zu
malen, mit allen meinen Nächstbekannten, lebensgroß, bei
einer Tafel sitzend, [4] – ich verhandle bereits mit einem
Hausherrn in Wien XIII., Wattmanngasse (Althietzing) wegen
einem neuen Atelier mit Wohnung im Garten, welches wir
ab Mai beziehen wollen. – Das Atelierhaus ist allein-
stehend rückwärts in einem schönen Rosengarten Althietzings
und besteht aus einem kleinen Atelier in der Größe von
4,60 meter x 5,30 meter und einem großen Atelier von
2 meter Breite und 10,80 meter Länge, außerdem sehr hoch
und an drei Seiten ringsum eine 2,20 meter breite Galerie,
– dann ein schönes Wohnzimmer und Diele (Stiegenhaus),
angebaut eine Kegelbahn. – Alles wird in nächster Zeit
hergerichtet werden. – Dort will ich von neuem [!] beginnen.
||
Es kommt mir so vor als ob ich mir bis jetzt die Werkzeuge
vorbereitet hätte. – Hoffentlich wird der Krieg doch in diesem
Jahr ein Ende nehmen, – so daß wir öfters zusammentreffen.
– ich hörte, – will daher, weil ich’s nicht selbst sah kein
Urteil abgeben, – daß Eure Wohnung in Hetzendorf
feucht sei und die Nachbarn unleidlich sind. – Lieber A. P.
wenn dem so ist, so möchte ich Euch doch raten eine komfortablere
Wohnung zu nehmen, von denen es z.B. in Hietzing genügend
gibt. – Abgesehen daß jetzt auch Fischer, Faistauer, Gütersloh [5]
u. s. w. in Hietzing ansässig sind, – es ist aber doch klüger
um sein Geld elektr.[isches] Licht, Wasser und trockene Räume zu
bewohnen. – Gleich mit diesem kann ich Dir mitteilen, daß
meine Bilder welche in Brüssel [6] waren von der deutschen
Verwaltung an mich geschickt wurden, – ich habe die Bilder
und auch Deines, [7] – welches jederzeit abgeholt werden kann.
– Bitte bringe mir auch was mit, – bunte Kleider oder
Holzfiguren u. s. w. – Schreibe mir wann Du wieder auf
Urlaub kommst und Ihr uns diesmal besuchen werdet.
– Der fortwährende Streit ist unschön und wir Menschen
sollen einander lieb haben. – Rößler [8] ist nicht mehr im
Kriegsarchiv, er dürfte mit der nächsten Marschformation
der 84ger in’s Feld gehen. – Faistauer ist bei der Paßrevision
in Salzburg am Bahnhof. – Gütersloh ist noch beim roten Kreuz
in Wien, Harta [9] ist beim Train in Mostar, Jungnickel [10]
in Bayern eingerückt und hat fast immer Urlaub und ist in
Wien, Kolig [11] ist im Kriegspressequartier, Wiegele [12] in
Algier in Gefangenschaft, Lang [13] in Moskau, nur Fischer
||
ist noch Zivil. – So sind wir alle zerstreut. – Kokoschka [14] wurde
durch Fürst Lichnowsky [15] von Berlin aus enthoben. – Er ist
mit seinen Nerven ganz kaput[t]. – In Deutschland
vielen [!] eine Reihe der jüngsten und zukunftsreichsten Künstler-
schaft. Oppenheimer [16] ist in Zürich (Zivil). Böhler [17] in Wien, er ist Schweizer.
Schreibe mir also wann Du auf Urlaub kommst und Treffen
wir uns dann alle zusammen in Wien.
Auf frohes Wiedersehn
Prosit Neujahr!
EGON
SCHIELE
1917
Anmerkungen
[1] Johann Harms (1843–1917).
[2] Bildnis eines alten Mannes (Johann Harms), 1916, K P300.
[3] Christian Griepenkerl (1839–1916).
[4] Die Freunde (Tafelrunde), groß, 1918, K P323.
[5] Johannes Fischer (1888–1955); Anton Faistauer (1887–1930); Albert Paris Gütersloh (1887–1973).
[6] Exposition Générale des Beaux Arts: Salon Triennal, Brüssel, 09.05.–02.11.1914.
[7] Junge Mutter, 1914, K P273. Ausgestellt waren in Brüssel außerdem: Welke Sonnenblumen (Herbstsonne II), 1914, K P280; Vorstadt I, 1914, K P282.
[8] Arthur Roessler, Schriftsteller (1877–1955).
[9] Felix Albrecht Harta (1884–1967).
[10] Ludwig Heinrich Jungnickel (1881–1965).
[11] Anton Kolig (1886–1950).
[12] Franz Wiegele (1887–1944).
[13] Erwin Lang (1886–1962).
[14] Oskar Kokoschka (1886–1980).
[15] Karl Max von Lichnowsky, dt. Diplomat (1860–1928).
[16] Max Oppenheimer (1885–1954).
[17] Heinrich Böhler (1881–1940).
[2] Bildnis eines alten Mannes (Johann Harms), 1916, K P300.
[3] Christian Griepenkerl (1839–1916).
[4] Die Freunde (Tafelrunde), groß, 1918, K P323.
[5] Johannes Fischer (1888–1955); Anton Faistauer (1887–1930); Albert Paris Gütersloh (1887–1973).
[6] Exposition Générale des Beaux Arts: Salon Triennal, Brüssel, 09.05.–02.11.1914.
[7] Junge Mutter, 1914, K P273. Ausgestellt waren in Brüssel außerdem: Welke Sonnenblumen (Herbstsonne II), 1914, K P280; Vorstadt I, 1914, K P282.
[8] Arthur Roessler, Schriftsteller (1877–1955).
[9] Felix Albrecht Harta (1884–1967).
[10] Ludwig Heinrich Jungnickel (1881–1965).
[11] Anton Kolig (1886–1950).
[12] Franz Wiegele (1887–1944).
[13] Erwin Lang (1886–1962).
[14] Oskar Kokoschka (1886–1980).
[15] Karl Max von Lichnowsky, dt. Diplomat (1860–1928).
[16] Max Oppenheimer (1885–1954).
[17] Heinrich Böhler (1881–1940).
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt
Verbleib unbekannt
Erfasst in
Roessler 1921, S. 116-118; Hist. Museum der Stadt Wien 1968, S. 51, Nr. 173 (Bezug)
Eigentümer*in
Autor*in
Unterzeichner*in
Empfänger*in
Erwähnte Institution
Abbildungsnachweis
Courtesy Kallir Research Institute, New York
Verknüpfte Objekte
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Ausstellungen
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Exposition Générale des Beaux Arts: Salon TriennalPalais du Cinquantenaire, Brüssel, 09.05.–02.11.1914
PURL: https://www.egonschiele.at/1252