Brief von Egon Schiele an Anton Peschka
ESDA ID
951
Nebehay 1979
867
Bestandsnachweis
Verbleib unbekannt
Ort
Gänserndorf
Datierung
16.12.1915 (eigenhändig)
Material/Technik
Tinte auf Papier
Transkription
16. Dezember 1915. Gänserndorf, N.-Ö. [Niederösterreich]
Lieber A. P.! Ich habe mir schon so oft vorgenommen an Dich zu schreiben und immer wieder kam etwas dazwischen oder war die Zeit zu kurz, um Dir längeres mitteilen zu können. Danke für Deine Karte, wo Weihnachtsgrüße darauf sind, die ich herzlichst erwiedere [!] und gleichzeitig ein Prosit Neujahr wünsche und den Schluß des Krieges im nächsten Jahr. – Daß ich im Tiergarten Lainz war, weißt Du ja – von dort kamen wir Mitte September in eine Schule in Hernals und von dort auf den Exelberg, XVII. Bezirk, oberhalb der Rohrerhütte, wohin ich täglich, bis vor zehn Tagen, wandern mußte. Unsere Beschäftigung ist dort, Drahtverhaue abzuwickeln. – Anfangs November wurden wir alle gemustert und ich daselbst zur Konstatierung geschickt, bei dieser als C-tauglich, das ist für Kanzleidienste geeignet, klassifiziert, wartete ich auf einen Posten in einer Kanzlei; da dies, wie alles, sehr lang dauerte, meldete ich mich zur Aushilfe zur Russeneskorte nach Gänserndorf. Hier sind 2 bis 300 Russen, die täglich 5 Uhr 20 Min. von Gänserndorf nach Wien, Nordbahnhof, und 7 Uhr 20 Min. abends zurückgeführt werden müssen. – Eben bin ich krank und liege im Bett. Nach Weihnachten sollen wir als Etappenkompagnie nach Belgrad kommen, ob ich als C-Tauglicher auch mit muß, weiß ich nicht. Vielleicht kennst Du dich besser aus und schreibst mir gelegentlich. Zu Deiner Auszeichnung gratuliere ich Dir herzlich; wieso geschah dies? – Du hörtest von Kokoschka. – Er ging als Kadett [?] ins Feld, bei einem Sturm gegen die Russen wurde er einigemale leicht verwundet und geriet als Verletzter in die Hände der Russen – im Feldlazarett bestach er die Wärter, hatte nämlich 200 Kronen versteckt bei sich, und diese flohen mit ihm in eine Scheune, – tags darauf kamen unsere Truppen – er winkte ihnen zu und mit ihm ergaben sich noch 23 Russen, worauf er die „große Silberne“ bekam. – Jetzt ist er bei Loos in Wien. Die Zeitungsnachrichten über ihn waren natürlich Reklame von ... ausgehend über ihn. – Jetzt soll er malen. – Von unseren Kollegen sind außer den Erwähnten – Gütersloh in einer Kanzlei in Wien, auch Roessler, der schon in eine „Marsch“ eingeteilt war. Faistauer, Harta, Fischer sind Zivil, Kolig Militär, Wiegele in Algier gefangen. Erich Lederer hatte von April an bis jetzt 27. Dezember Urlaub – was sagt man! – Nun aber „aus“ mit dem Militärischen. Die Sezession Berlin hat uns zur Ausstellung dort eingeladen – einen Saal und zwei weitere Räume zur Verfügung gestellt. Moll! war bei mir und erbat sich: „Entschwebung“, 200 x 170 cm, M.[ark] 10.000, „Tod und Mädchen“ 180 x 150 cm, M. 6000, „Mutter“, 160 x 150 cm, M. 6000 (der kleine Toni zweimal verwertet), und 20 farbige Zeichnungen à M. 200, darunter Russen, die ich hier gezeichnet habe. Mit mir stellen aus: Klimt, vier Bilder, unter diesen befindet sich das „Tod und Leben“, welches ganz umgemalt ist, dieses sein größtes Bild wird meiner „Entschwebung“ gegenüber hängen. Kokoschka, Gütersloh, Faistauer, Harta, Fischer, Lang, Moser, Löffler, Moll, List und noch einige, die nicht mehr dazu gehören. Kaiser Wilhelm soll die Ausstellung eröffnen! Vielleicht bekomme ich Urlaub und bin dort. – Was sagst Du zu meinen Preisen? – Gerti war einigemale bei uns. Lieber A. P., wenn Du schöne Kostüme, Figuren oder dergleichen findest, so möchte ich sie kaufen. Vielleicht schreibst Du mir darüber. Sei herzlichst gegrüßt auf Wiedersehen!
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt
Erfasst in
Roessler 1921, S. 110-112
Unterzeichner*in
Empfänger*in
Erwähnte Institution

Verknüpfte Objekte

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Ausstellungen

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  • Wiener Kunstschau
    Freie Secession Berlin, Berlin, 08.01.–16.02.1916
PURL: https://www.egonschiele.at/951