Brief von Edith Schiele an Marie Schiele
Leopold Museum, Wien
ESDA ID
2819
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Bestandsnachweis
Leopold Museum, Wien, Inv. 7645
Ort
Neuhaus in Böhmen (Jindřichův Hradec)
Datierung
03.07.1915 (eigenhändig)
Material/Technik
Tinte auf Papier
Maße
19,8 x 14,5 cm (Seite)
Transkription
Neuhaus 3. Juli 1915.
Hotel – Central
Liebe geehrte gnädige Frau.
Vielen herzlichen Dank für Ihre so
lieben Zeilen! Sie müssen es Egon nicht
übel nehmen, daß er so garnichts von
sich hören läßt. – Er macht jetzt eine
böse Zeit mit, – der arme liebe Kerl. –
Es ist ein großes Unglück, daß Egon nach
Prag mußte! Weil sich die Tschechen im
Laufe des Krieges so fein benommen haben
werden sie jetzt auch danach behandelt, –
– nämlich wie Tiere; und Egon ist
leider unter lauter Tschechen. Es hat
mich schon viele Tränen gekostet –
alles das mit anzusehen, – es ist mir
||
garnicht möglich, jetzt klar und ruhig
darüber nachzudenken, – so aufgewühlt
ist mein Inneres. – Meine große Sorge
ist auch, ob mir Egon bei dem Hundeleben
(Sie verzeihen den Ausdruck.) das er
jetzt führen muß, – nicht krank wird,
Gott, – d.[as] wäre ja zu furchtbar! –
Untergebracht sind sie in Scheunen,
bei diesem schlechten Wetter, gerade
zu lebensgefährlich. – Egon muss alle
Hebel in Bewegung setzen, – um von
hier wegzukommen, er hat bereits
an Herrn Peschka geschrieben, was er
machen soll, – bis jetzt ist aber noch keine
Antwort angekommen, hoffentlich trifft sie,
bevor es zu spät wird, – ein.
Liebe Mama, – darf ich so zu Ihnen
sagen? ich möchte es gerne, – und noch
eine Bitte habe ich, nennen Sie mich
||
– Du, – darf ich es auch? – das
Sie, es klingt so fremd, – und wir wollen
uns doch recht nahe kommen, – wir
gehören ja jetzt zusammen; – ich will
Ihnen eine gute treue Tochter sein, –
eine brave, aufopfernde Frau für
Ihren Sohn ihn beistehen in allen
guten und bösen Zeiten.
An Frau Peschka schicke ich die
allerherzlichsten Grüße, – Leider war
es mir nicht vergönnt Fräulein Melanie
kennen zu lernen, – doch auch ihr
lasse ich die besten Grüße zu kommen,
nur Ihnen liebe gn.[ädige] Frau küsse
ich die Hände Ihre
Edith
[Kuvert:]
An
Frau
Marie Schiele
Wien XIII
Linzerstraße [von anderer Hand:] 403.
||
E. S. Neuhaus i. B. [in Böhmen] Hotel Central
Hotel – Central
Liebe geehrte gnädige Frau.
Vielen herzlichen Dank für Ihre so
lieben Zeilen! Sie müssen es Egon nicht
übel nehmen, daß er so garnichts von
sich hören läßt. – Er macht jetzt eine
böse Zeit mit, – der arme liebe Kerl. –
Es ist ein großes Unglück, daß Egon nach
Prag mußte! Weil sich die Tschechen im
Laufe des Krieges so fein benommen haben
werden sie jetzt auch danach behandelt, –
– nämlich wie Tiere; und Egon ist
leider unter lauter Tschechen. Es hat
mich schon viele Tränen gekostet –
alles das mit anzusehen, – es ist mir
||
garnicht möglich, jetzt klar und ruhig
darüber nachzudenken, – so aufgewühlt
ist mein Inneres. – Meine große Sorge
ist auch, ob mir Egon bei dem Hundeleben
(Sie verzeihen den Ausdruck.) das er
jetzt führen muß, – nicht krank wird,
Gott, – d.[as] wäre ja zu furchtbar! –
Untergebracht sind sie in Scheunen,
bei diesem schlechten Wetter, gerade
zu lebensgefährlich. – Egon muss alle
Hebel in Bewegung setzen, – um von
hier wegzukommen, er hat bereits
an Herrn Peschka geschrieben, was er
machen soll, – bis jetzt ist aber noch keine
Antwort angekommen, hoffentlich trifft sie,
bevor es zu spät wird, – ein.
Liebe Mama, – darf ich so zu Ihnen
sagen? ich möchte es gerne, – und noch
eine Bitte habe ich, nennen Sie mich
||
– Du, – darf ich es auch? – das
Sie, es klingt so fremd, – und wir wollen
uns doch recht nahe kommen, – wir
gehören ja jetzt zusammen; – ich will
Ihnen eine gute treue Tochter sein, –
eine brave, aufopfernde Frau für
Ihren Sohn ihn beistehen in allen
guten und bösen Zeiten.
An Frau Peschka schicke ich die
allerherzlichsten Grüße, – Leider war
es mir nicht vergönnt Fräulein Melanie
kennen zu lernen, – doch auch ihr
lasse ich die besten Grüße zu kommen,
nur Ihnen liebe gn.[ädige] Frau küsse
ich die Hände Ihre
Edith
[Kuvert:]
An
Frau
Marie Schiele
Wien XIII
Linzerstraße [von anderer Hand:] 403.
||
E. S. Neuhaus i. B. [in Böhmen] Hotel Central
Provenienz
Vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Abbildungsnachweis
Leopold Museum, Wien
PURL: https://www.egonschiele.at/2819