Brief von Egon Schiele an Wilhelm John
ESDA ID
2768
Nebehay 1979
1732
Bestandsnachweis
Verbleib unbekannt
Ort
Wien
Datierung
02.10.1918 (eigenhändig)
Material/Technik
Violette Tinte auf Papier
Transkription
2. Oktober 1918.
Sehr geehrter Herr Ober Ingenieur Dr. John, – nach
persönlicher Rücksprache mit Ihnen erlaubte ich mir meinen
Schwager den Maler Leutnant Anton Peschka zu senden
der einige Zeichnungen seiner Hand zeigen wollte, – vielleicht
ist das Eine oder Andere darunter welches Sie interessieren
kann.
Die Hauptsache meines Schreibens ist aber eine andere
und glaube ich, daß Sie als idealer Förderer der Kunst
mich entschuldigen wenn ich nicht persönlich dieses melde,
weil ich mir in Form des E.F. Korp. [Einjährig-Freiwilliger Korporal] Schiele Egon
nicht anmaßen kann mit all’ dem was ich besser in
Form des Künstlers an Sie schreibe.
Ich bekam gestern den beiliegenden offenen Zettel womit
mir mitgeteilt wird zu einer neuerlichen Sichtung
zu erscheinen. Dem gegenüber ich mitteilen muß daß
ich bereits am 10. September 1918 mit der gesamten
Mannschaft des Heeresmuseums einer Sichtungs-
||
kommission vorgestellt wurde und ich nicht einsehe
wieso es kommt daß ich nach noch nicht einem
Monat abermals gesichtet werden soll. – Es
muß dies ein Irrtum sein und weiß ich, von
mir befreundeten Offizieren daß ich im Laufe
eines Jahres nicht öfter als einmal einer Sichtungs-
kommission vorgestellt werden darf brauche.
Es ist so ohne gleichen deprimierend wenn ich als
Künstler von allen Seiten erhoben und mir die
Verantwortung und Entscheidung für die jetzt
wichtigsten künstlerischen Fragen in Österreich an-
vertraut werden und ich auf der anderen Seite
wegen Irrtümern anderer, als Nummer, kurzer-
hand und nach wenigen Wochen wieder vor eine
Kommission gestellt werden soll, deren Laune
die Existenz einer, – wie man mir sagt –,
schöpferischen Kraft auf das Stärkste hemmen
||
und jede neue freie geistig-künstlerische Entfaltung damit
immer wieder ausgewischt wird. – Die Richtstelle kommt
mir vor.
Es ist begreiflich daß dieses Gefühl der Abhängigkeit
mich ungeheuer drückt und ich unter solchen dauernden Um-
ständen nicht das Entzücken vor der Kunst, für die ich alles
zu tun imstande bin, finden kann und daher aus diesen
Gründen mich zu neuen Werken nicht zwingen will.
Abgesehen davon daß ich heute eine begründet andere
Rolle für den Staat spiele und daher eine entsprechende
Werteinschätzung meiner Person erhoffe.
Schon die Barackenluft mit ihren gemeinen Kanzleien
und Innwohnern [!] allein setzt mich in Entsetzen und macht
mich wochenlang nachher unfähig auch nur das Geringste
schaffen zu können. Deswegen verzichte ich gerne auf
sämtliche militärische Gebühren um nur nicht mit dieser
Art Gegenpolmenschen in Fühlung zu kommen.
||
Gegenwärtig arbeite ich an der Zusammenstellung der
Ausstellung in Wiesbaden für dessen künstlerischen Inhalt
ich verantwortlich bin und mich von morgens bis
abends beschäftigt, – gleichzeitig wird auch in der Sezession
eine Porträtausstellung gemacht deren Zusammenstellung
auch mir überlassen wurde und an dem Zustande-
kommen unserer neuen Künstlervereinigung die seit einem
¾ Jahr ununterbrochen zu tun gibt und ich hauptsächlich
die Anbahnung und Zusammenarbeit mit dem Hagenbund
anstrebe. – Heute wollte ich ein Bild vollenden zu dem
ein Herz gehört und wird mir durch diese Mitteilung jede
Lust genommen. – Neben meinen weiteren Verpflichtungen:
· das Bild für das Heeresmuseum, · 14 Porträts die ich
zu malen übernommen habe, · die Arbeiten für Prof.
Hanslik, · für das Burgtheater Dekorationen zu ent-
werfen werde ich unaufhörlich ersucht, · Der „Morgen“
will eine neue Zeitschrift herausgeben und mich als Mit-
arbeiter haben, eine Reihe von Ausstellungen
||
im Reiche und neutralen Ausland sind projektiert,
erscheint mir der kleine schmierige Zettel wie eine
böse Ironie.
Ich leide schwer – das Gute braucht nicht Gewalt.
Bitte Sie um Aufklärung um Weisung und Vergebung.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr dankbar ergebener

EGON
SCHIELE
Anmerkungen
Briefentwurf siehe ESDA ID 1799
Motiv
Briefpapier: EGON SCHIELE, WIEN, XIII. WATTMANNGASSE 6
Provenienz
1982:
Antiquariat Ingo Nebehay, Liste 70, Februar 1982, Nr. 179.

2015:
Swann Galleries, 19.05.2015, sale 2376, lot 220.
Erfasst in
Roessler 1921, S. 181-183
Empfänger*in

Verknüpfte Objekte

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Ausstellungen

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  • Ausstellung von Werken österreichischer Künstler [Titel unbekannt, nicht realisiert]
    Nassauischer Kunstverein Wiesbaden, Wiesbaden, geplant ab Oktober 1918
  • LII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession
    Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession, Wien, 11.12.1918–Januar 1919
PURL: https://www.egonschiele.at/2768