Brief von Egon Schiele an Arthur Roessler
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
ESDA ID
474
Nebehay 1979
353
Bestandsnachweis
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Inv. H.I.N. 180665
Ort
Wien
Datierung
18.05.1912 (Poststempel)
Material/Technik
Schwarze Tinte auf Papier
Maße
18,6 x 14 cm (Seite)
9,8 x 4,6 cm (Kuvert)
9,8 x 4,6 cm (Kuvert)
Transkription
Lieber R-r. Wann kommen Sie zurück? – Es ist
ausgeschlossen, daß ich in N. [Neulengbach] wo ich so gerne
bleiben wollte weiter wohnen kann. –
Jetzt bin ich bei meiner Mutter [1] die jetzt in
Hetzendorf wohnt und bleibe bis 1. Juni,
wo ich glaube eine richtige Werkstatt
gefunden zu haben. – Ich bin noch ganz
zerrüttet. – Bei der Verhandlung wurde
ein Blatt, dieses welches bei mir aufge-
hängt war verbrannt; Klimt [2] will
irgend etwas tun, er sagte: da
möchte heute dem und morgen dem das
passieren, da könnten wir ja gar nichts
machen was wir wollten u. s. w. –
In der Schönbrunner Allee 60 verlängerte
Grünbergstr.[aße] habe ich einen Boden ausfindig
gemacht der umgeändert werden soll,
wenn alles geschieht bin ich dabei einzuziehn.
Die Arbeiter-Zeitung hab ich bis jetzt nicht
bekommen. [3] Ich würde Ihnen vieles über
die Zeit vom 13. IV. bis 7. V. [4] erzählen
können so viel wie die Summe von
Erlebnissen von 10 Jahren. – Es ist aber
ekelhaft wenn ich daran denken soll.
||
Ich habe an Putze [5] geschrieben, daß ich nicht dafür
kann daß ich an die „Sema“ Zeichnungen
geschickt habe, [6] und ich glaubte nicht unrecht
zu tun, wenn ich auch an andere Ausstellungen
meine Arbeiten sende, weil Sie selbst
wußten daß mich die Sezession eingeladen
hatte [7] und warum sollte ich da an die
Sema nichts schicken die doch ebenfalls
so gute Leute hat und lebendiger ist. –
Diese Kontraktbrechereien sollen nur
bei Operettensängern vorkommen nicht
aber mir passieren. – Wenn ich Lust habe
so will ich dorthin meine Arbeiten schicken
wohin ich will, ich will da kein Gesetz.
Ich habe an Putze geschrieben ob er mir 200 oder
300 M.[ark] schicken kann hinauf auf die Ausstellung
in Hagen, [8] wo ich gutes [!] gehört habe, ich glaube
daß es doch eigendlich [!] seine Pflicht ist, jetzt
wo ich ganz abgebunden bin; ich habe ihm
geschrieben daß er Ihnen das mitteilen
soll, weil ich damals nicht mehr so viel
schreiben wollte. – Ich brauche mindestens
500 K[ronen] um in Ordnung zu kommen. –
Vielleicht schreiben Sie ihm, ich brauche das
alles sofort, weil ich natürlich wie man
alles hörte und wußte das [!] ich in Haft bin mich
||
wegen den kleinsten Beträgen klagte u. s. w.
Ich habe sogar in der Verwahrungshaft zeichnen
dürfen und ich habe auch für Sie ein Blatt
aufgehoben, alle Blätter sind für
meine Nächsten. Herzliche Grüße
Egon Schiele z. z. [zur Zeit] Wien XII.
Rosenhügelstr.[aße] 9.
[Kuvert:]
Kunstschriftsteller Arthur Rößler z. z.
Torbole am Gardasee. Hotel Gardasee.
||
Egon Schiele z. z.
Wien XII. Rosenhügelstr. 9.
ausgeschlossen, daß ich in N. [Neulengbach] wo ich so gerne
bleiben wollte weiter wohnen kann. –
Jetzt bin ich bei meiner Mutter [1] die jetzt in
Hetzendorf wohnt und bleibe bis 1. Juni,
wo ich glaube eine richtige Werkstatt
gefunden zu haben. – Ich bin noch ganz
zerrüttet. – Bei der Verhandlung wurde
ein Blatt, dieses welches bei mir aufge-
hängt war verbrannt; Klimt [2] will
irgend etwas tun, er sagte: da
möchte heute dem und morgen dem das
passieren, da könnten wir ja gar nichts
machen was wir wollten u. s. w. –
In der Schönbrunner Allee 60 verlängerte
Grünbergstr.[aße] habe ich einen Boden ausfindig
gemacht der umgeändert werden soll,
wenn alles geschieht bin ich dabei einzuziehn.
Die Arbeiter-Zeitung hab ich bis jetzt nicht
bekommen. [3] Ich würde Ihnen vieles über
die Zeit vom 13. IV. bis 7. V. [4] erzählen
können so viel wie die Summe von
Erlebnissen von 10 Jahren. – Es ist aber
ekelhaft wenn ich daran denken soll.
||
Ich habe an Putze [5] geschrieben, daß ich nicht dafür
kann daß ich an die „Sema“ Zeichnungen
geschickt habe, [6] und ich glaubte nicht unrecht
zu tun, wenn ich auch an andere Ausstellungen
meine Arbeiten sende, weil Sie selbst
wußten daß mich die Sezession eingeladen
hatte [7] und warum sollte ich da an die
Sema nichts schicken die doch ebenfalls
so gute Leute hat und lebendiger ist. –
Diese Kontraktbrechereien sollen nur
bei Operettensängern vorkommen nicht
aber mir passieren. – Wenn ich Lust habe
so will ich dorthin meine Arbeiten schicken
wohin ich will, ich will da kein Gesetz.
Ich habe an Putze geschrieben ob er mir 200 oder
300 M.[ark] schicken kann hinauf auf die Ausstellung
in Hagen, [8] wo ich gutes [!] gehört habe, ich glaube
daß es doch eigendlich [!] seine Pflicht ist, jetzt
wo ich ganz abgebunden bin; ich habe ihm
geschrieben daß er Ihnen das mitteilen
soll, weil ich damals nicht mehr so viel
schreiben wollte. – Ich brauche mindestens
500 K[ronen] um in Ordnung zu kommen. –
Vielleicht schreiben Sie ihm, ich brauche das
alles sofort, weil ich natürlich wie man
alles hörte und wußte das [!] ich in Haft bin mich
||
wegen den kleinsten Beträgen klagte u. s. w.
Ich habe sogar in der Verwahrungshaft zeichnen
dürfen und ich habe auch für Sie ein Blatt
aufgehoben, alle Blätter sind für
meine Nächsten. Herzliche Grüße
Egon Schiele z. z. [zur Zeit] Wien XII.
Rosenhügelstr.[aße] 9.
[Kuvert:]
Kunstschriftsteller Arthur Rößler z. z.
Torbole am Gardasee. Hotel Gardasee.
||
Egon Schiele z. z.
Wien XII. Rosenhügelstr. 9.
Anmerkungen
[1] Marie Schiele, geb. Soukup (1862–1935).
[2] Gustav Klimt (1862–1918).
[3] Gemeint ist: Arthur Roessler: „Feuilleton. Hagenbund“, in: Arbeiter Zeitung, 14.05.1912, S. 1–3.
[4] Haft in Neulengbach, Verhandlung in St. Pölten.
[5] Buch- und Kunsthandlung Ulrich Putze, München, ab 1910 von Hans Goltz (1873–1927) geführt.
[6] 1. Ausstellung der Künstlervereinigung Sema, Moderne Galerie Heinrich Thannhauser, München, ca. Anfang April–23.04.1912.
[7] Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession, Verein bildender Künstler Münchens, 02.03.–20.04.1912.
[8] Egon Schiele, Emile Zoir, Folkwang Museum, Hagen, 11. April–ca. Mai 1912.
[2] Gustav Klimt (1862–1918).
[3] Gemeint ist: Arthur Roessler: „Feuilleton. Hagenbund“, in: Arbeiter Zeitung, 14.05.1912, S. 1–3.
[4] Haft in Neulengbach, Verhandlung in St. Pölten.
[5] Buch- und Kunsthandlung Ulrich Putze, München, ab 1910 von Hans Goltz (1873–1927) geführt.
[6] 1. Ausstellung der Künstlervereinigung Sema, Moderne Galerie Heinrich Thannhauser, München, ca. Anfang April–23.04.1912.
[7] Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession, Verein bildender Künstler Münchens, 02.03.–20.04.1912.
[8] Egon Schiele, Emile Zoir, Folkwang Museum, Hagen, 11. April–ca. Mai 1912.
Provenienz
Nachlass Arthur Roessler
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
Erfasst in
Roessler 1921, S. 66/67; Husslein-Arco/Kallir 2011, S. 216/217, Abb. 8, S. 232
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Erwähnte Person
Abbildungsnachweis
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
Ausstellungen
(+-)
-
Frühjahr-Ausstellung der Münchener SecessionVerein bildender Künstler Münchens, München, 02.03.–20.04.1912
-
FrühjahrsausstellungHagenbund, Zedlitzhalle, Wien, 23.03.–ca. 31.07.1912
-
I. Ausstellung der Künstlervereinigung SemaModerne Galerie Heinrich Thannhauser, München, ca. Anfang April–23.04.1912
-
Egon Schiele, Emile ZoirFolkwang Museum, Hagen, 11. April–ca. Mai 1912
Bibliografie
(+-)
-
Roessler 1912Arthur Roessler: „Feuilleton. Hagenbund“, in: Arbeiter Zeitung, 14.05.1912, S. 1–3
PURL: https://www.egonschiele.at/474