Brief von Egon Schiele an Arthur Roessler
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
ESDA ID
301
Nebehay 1979
172
Bestandsnachweis
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Inv. H.I.N. 180642
Ort
Wien
Datierung
10.01.1911 (Poststempel)
Material/Technik
Bleistift auf Papier
Maße
15,2 x 12,5 cm (Seite)
16 x 9,6 cm (Seite)
16 x 9,6 cm (Seite)
Transkription
Lieber R. R.-r. wird es denn fort so weitergehn. Ich habe, ich
kann seit Tagen nichts arbeiten. Nicht einmal
Packpapier hab ich und immer anhör’n müssen die
ewigen Rezepte? Ich habe Kopfschmerzen bin
gefesselt will mir niemand helfen? – Wenn
ich nur eine Ausstellung machen könnte
wäre ich draußen, aber nein ich kann nicht
einmal zeichnen, also muß ich schreiben; mir
Geld ausleihen, jetzt in den allerbesten
Jahren und Tagen wo ich arbeiten will. –
Wie gemein sind die Leute. Und Sie
wollen mich noch ärgern mit Scherzen.
Kann das so fort gehn? – Sie träumen
von 2000 K[ronen] – ich bring aber immer
nur 800 zusammen, ist das was und
dafür hab ich Bilder und Zeichnungen ausge-
geben wie Salz beim Kaufmann. Rosenbaum [1]
hat mir im ganzen 40 K gegeben ich hab
ihn gezeichnet und hab bis heute nichts,
ich hab Zeichnungen dem Schönthal [2] gegeben
und weiß nicht wieviel welche, es kommt
kein Geld dafür, wo eine einzige hunderte
wert ist. Ich hab’ bis heute noch nichts
vom Kosmack, [3] wo es hieß allmonatlich 20 K.
Soll ich mich übrigens darum kümmern?
Ich setze doch Intelligenz und Nobles voraus. – Nein, das
ist kein entgegenkommen dem Künstler [gegenüber]. – Welche
Zeiten! Soll ich Kaufmann sein? oder Verkäufer? –
Wenn ich ausstellen könnte, ich begnüge mich ja mit Pisko, [4] mir ist
alles gleich, obwohl meine Wertigkeit
||
Fortsetzung
anderswo hingeht, ich sollte die Sezession kriegen.
Aber nein dort sitzen die eckligsten [!]
Modernkitscher. [5] – Wer wird mir
helfen? – Ich kann keine Leinwand
kaufen, will malen habe keine Farbe.
Eine Leinwand mit dazugehörigen
Requisiten, Rahmen eines Porträts
kam mir selbst auf 40 K per Stück. – Aber
am elendsten sind die Menschen. – Warum
kann ich nicht einmal warum soll
ich nicht einmal endlich herauskommen
mit 500 K geht’s, da kann ich eine
Ausstellung eröffnen, ich brauche
doch Rahmen, Einrichtung, Herrichtung,
Briefe, Porto, Einladungen, u.s.w.
Verschiedenes, Verschiedenes; während
dieser Ausstellung kann ich neues
malen für München. Es ist doch
elend fort an den nächsten Tag zu
denken. – Sie mögen schaun
was ich leiste, wenn ich getrost
arbeiten könnte. Ausstellung!
Möchten Sie mit mir, morgen
Dienstag womöglich zu Pisko
gehn [!] wegen der Ausstellung, die
kann in 8 Tagen sein. Wollen
Sie? – Und vorerst zu mir
kommen und mir das Geld bringen
für die „tote Mutter“ [6] – morgen
Dienstag Vor oder Nachmittag
ich bin krank. Ihr E. S. 11.
||
Der Künstler soll sich doch wenigstens nicht darum kümmern
sollen ob er monatlich das schuld.[ige] Geld
kriegt? Wer mit dem Künstler umgehn kann
der schreibt doch wenigstens. – Warum
soll ich zu alle dem still sein? – Wenn
der Künstler jemanden einlad [!] um ihn
zu zeichnen, wie ich Rosenbaum, – Ja
warum kommt denn der nicht, wer
ist er denn im Grund genommen?
Ich bin äußerst empfindlich und alle diese
Leute wissen absolut nicht wie sie sich
benehmen sollen dem Künstler gegenüber.
Um Gotteswillen ich werd [!] doch 500 K kriegen.
Ich will’s ja wieder retournieren.
Kommen Sie! Morgen Dienstag.
[Unter dem Text die flüchtigen Umrisse einer Figur.]
||
[Adressblock:]
Kunstschriftsteller
Artur Rößler
XIX. Billrothstraße 6.
Schiele
XII.
Grünbergstr.[aße] 31.
(10h abends Montag.)
kann seit Tagen nichts arbeiten. Nicht einmal
Packpapier hab ich und immer anhör’n müssen die
ewigen Rezepte? Ich habe Kopfschmerzen bin
gefesselt will mir niemand helfen? – Wenn
ich nur eine Ausstellung machen könnte
wäre ich draußen, aber nein ich kann nicht
einmal zeichnen, also muß ich schreiben; mir
Geld ausleihen, jetzt in den allerbesten
Jahren und Tagen wo ich arbeiten will. –
Wie gemein sind die Leute. Und Sie
wollen mich noch ärgern mit Scherzen.
Kann das so fort gehn? – Sie träumen
von 2000 K[ronen] – ich bring aber immer
nur 800 zusammen, ist das was und
dafür hab ich Bilder und Zeichnungen ausge-
geben wie Salz beim Kaufmann. Rosenbaum [1]
hat mir im ganzen 40 K gegeben ich hab
ihn gezeichnet und hab bis heute nichts,
ich hab Zeichnungen dem Schönthal [2] gegeben
und weiß nicht wieviel welche, es kommt
kein Geld dafür, wo eine einzige hunderte
wert ist. Ich hab’ bis heute noch nichts
vom Kosmack, [3] wo es hieß allmonatlich 20 K.
Soll ich mich übrigens darum kümmern?
Ich setze doch Intelligenz und Nobles voraus. – Nein, das
ist kein entgegenkommen dem Künstler [gegenüber]. – Welche
Zeiten! Soll ich Kaufmann sein? oder Verkäufer? –
Wenn ich ausstellen könnte, ich begnüge mich ja mit Pisko, [4] mir ist
alles gleich, obwohl meine Wertigkeit
||
Fortsetzung
anderswo hingeht, ich sollte die Sezession kriegen.
Aber nein dort sitzen die eckligsten [!]
Modernkitscher. [5] – Wer wird mir
helfen? – Ich kann keine Leinwand
kaufen, will malen habe keine Farbe.
Eine Leinwand mit dazugehörigen
Requisiten, Rahmen eines Porträts
kam mir selbst auf 40 K per Stück. – Aber
am elendsten sind die Menschen. – Warum
kann ich nicht einmal warum soll
ich nicht einmal endlich herauskommen
mit 500 K geht’s, da kann ich eine
Ausstellung eröffnen, ich brauche
doch Rahmen, Einrichtung, Herrichtung,
Briefe, Porto, Einladungen, u.s.w.
Verschiedenes, Verschiedenes; während
dieser Ausstellung kann ich neues
malen für München. Es ist doch
elend fort an den nächsten Tag zu
denken. – Sie mögen schaun
was ich leiste, wenn ich getrost
arbeiten könnte. Ausstellung!
Möchten Sie mit mir, morgen
Dienstag womöglich zu Pisko
gehn [!] wegen der Ausstellung, die
kann in 8 Tagen sein. Wollen
Sie? – Und vorerst zu mir
kommen und mir das Geld bringen
für die „tote Mutter“ [6] – morgen
Dienstag Vor oder Nachmittag
ich bin krank. Ihr E. S. 11.
||
Der Künstler soll sich doch wenigstens nicht darum kümmern
sollen ob er monatlich das schuld.[ige] Geld
kriegt? Wer mit dem Künstler umgehn kann
der schreibt doch wenigstens. – Warum
soll ich zu alle dem still sein? – Wenn
der Künstler jemanden einlad [!] um ihn
zu zeichnen, wie ich Rosenbaum, – Ja
warum kommt denn der nicht, wer
ist er denn im Grund genommen?
Ich bin äußerst empfindlich und alle diese
Leute wissen absolut nicht wie sie sich
benehmen sollen dem Künstler gegenüber.
Um Gotteswillen ich werd [!] doch 500 K kriegen.
Ich will’s ja wieder retournieren.
Kommen Sie! Morgen Dienstag.
[Unter dem Text die flüchtigen Umrisse einer Figur.]
||
[Adressblock:]
Kunstschriftsteller
Artur Rößler
XIX. Billrothstraße 6.
Schiele
XII.
Grünbergstr.[aße] 31.
(10h abends Montag.)
Anmerkungen
[1] Sigmund Rosenbaum, Besitzer einer Druckerei (1867–1945).
[2] Otto Schönthal (1878–1961).
[3] Eduard Kosmack, Verleger (1880–1947).
[4] Gustav Pisko, Kunsthändler (1866–1911).
[5] Schiele meint jene Künstler, die nach dem Austritt der Klimt-Gruppe 1905 in der Secession zurückgeblieben waren.
[6] Tote Mutter I, 1910, K P177.
[2] Otto Schönthal (1878–1961).
[3] Eduard Kosmack, Verleger (1880–1947).
[4] Gustav Pisko, Kunsthändler (1866–1911).
[5] Schiele meint jene Künstler, die nach dem Austritt der Klimt-Gruppe 1905 in der Secession zurückgeblieben waren.
[6] Tote Mutter I, 1910, K P177.
Provenienz
Nachlass Arthur Roessler
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
Erfasst in
Roessler 1921, S. 49-51; Husslein-Arco/Kallir 2011, S. 216, Abb. 7, S. 231
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Erwähnte Person
Erwähnte Institution
Abbildungsnachweis
Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung
Verknüpfte Objekte
(+-)
PURL: https://www.egonschiele.at/301