Brief von Egon Schiele an Carl Reininghaus
Leopold Museum, Wien
ESDA ID
45
Nebehay 1979
320
Bestandsnachweis
Leopold Museum, Wien, Inv. 7452
Datierung
27.02.1912 (inhaltlich)
Material/Technik
Schwarze Tinte auf Papier
Maße
17 x 13 cm
Transkription
Lieber Karl Reininghaus! ich gebe Dir gerne
zu daß Du momentan recht hast; in dem
großen Bild [1] sieht man auf’s erste nicht
genau wie die beiden da stehn, es ist aber gut
daß die Blumen nicht herb sind, daß zu viel
Blumen sind erkenne ich als unnötig. – Ich
will aber einiges über den Gedankengang
in dem Bild sagen der viel, vielleicht alles
nicht nur für mich sondern auch für den
Beschauer rechtfertigt. – Es ist nicht ein
grauer Himmel, sondern eine trauernde
Welt in der sich die beiden Körper bewegen,
sie sind in der allein aufgewachsen, organisch
aus dem Boden gekommen; diese ganze
Welt soll samt den Figuren das „Hinfällige"
alles Wesendlichen [!] darstellen; eine einzige
verdorrte Rose die ihre weiße Unschuld
ausatmet, zum Gegensatz der Kranz-
blumen an den beiden Köpfen. –
||
Der linke ist der, welcher sich beugt vor so
einer ernsten Welt, seine Blumen sollen
kalt wirken, unbarmherzig, ausgelöschte
Blumen möchte ich sagen oder vergleichen
mit gleich lauten Worten eines
Schwerkranken der nur mehr stammelt,
hohl und heißer [!]; wie die Blumen
hier gemalt sind ist mir ganz recht,
es könnten wirklich weniger sein; aber
so verblaßt wie ich die gemalt habe ist
gewollt, sonst würde der poetische
Gedanke und die Vision verloren sein,
ebenso wie die Unbestimmtheit der
Gestalten, die, als in sich zusammen-
geknickt gedacht sind, Körper von
Lebensüberdrüssigen, Selbstmörder,
aber Körper von Empfindungsmenschen.
– Sehe die beiden Gestalten gleich einer
dieser Erde ähnlichen Staubwolke die
||
sich aufbauen will und kraftlos zu-
sammenbrechen muß. – Bei einen [!]
anderen Bild das nicht diese Bedeutung
haben soll, wird man wieder die
Stellung der Figuren betont sehen,
hier soll es aber nicht sein. – Ich
habe das Bild nicht von heute auf morgen
malen können, sondern durch meine
Erlebnisse einiger Jahre, vom Tode
meines Vaters [2] an; ich habe mehr
eine Vision gemalt als nach Zeichnungen
Bilder. – Vielleicht bist Du jetzt dem
Ganzen näher, ich weiß es nicht, ich habe
das Bild malen müssen, gleich ob es
malerisch gut oder schlecht ist, wenn
Du aber einiges wüßtest wie mir die
Welt vorkommt und wie mir bis jetzt
die Menschen gegenüber waren, ich
meine wie falsch; so muß ich dorthin
||
kehren und solche Bilder malen, die
nur für mich wert haben. Es
ist nur aus Innigkeit entstanden. –
Ich ersehe daß Du mir ganz aufrichtig
willst, ich bin ebenso weil ich nichts
an dem Bild ändern würde.
Es grüßt Dich herzlich!
Egon Schiele.
zu daß Du momentan recht hast; in dem
großen Bild [1] sieht man auf’s erste nicht
genau wie die beiden da stehn, es ist aber gut
daß die Blumen nicht herb sind, daß zu viel
Blumen sind erkenne ich als unnötig. – Ich
will aber einiges über den Gedankengang
in dem Bild sagen der viel, vielleicht alles
nicht nur für mich sondern auch für den
Beschauer rechtfertigt. – Es ist nicht ein
grauer Himmel, sondern eine trauernde
Welt in der sich die beiden Körper bewegen,
sie sind in der allein aufgewachsen, organisch
aus dem Boden gekommen; diese ganze
Welt soll samt den Figuren das „Hinfällige"
alles Wesendlichen [!] darstellen; eine einzige
verdorrte Rose die ihre weiße Unschuld
ausatmet, zum Gegensatz der Kranz-
blumen an den beiden Köpfen. –
||
Der linke ist der, welcher sich beugt vor so
einer ernsten Welt, seine Blumen sollen
kalt wirken, unbarmherzig, ausgelöschte
Blumen möchte ich sagen oder vergleichen
mit gleich lauten Worten eines
Schwerkranken der nur mehr stammelt,
hohl und heißer [!]; wie die Blumen
hier gemalt sind ist mir ganz recht,
es könnten wirklich weniger sein; aber
so verblaßt wie ich die gemalt habe ist
gewollt, sonst würde der poetische
Gedanke und die Vision verloren sein,
ebenso wie die Unbestimmtheit der
Gestalten, die, als in sich zusammen-
geknickt gedacht sind, Körper von
Lebensüberdrüssigen, Selbstmörder,
aber Körper von Empfindungsmenschen.
– Sehe die beiden Gestalten gleich einer
dieser Erde ähnlichen Staubwolke die
||
sich aufbauen will und kraftlos zu-
sammenbrechen muß. – Bei einen [!]
anderen Bild das nicht diese Bedeutung
haben soll, wird man wieder die
Stellung der Figuren betont sehen,
hier soll es aber nicht sein. – Ich
habe das Bild nicht von heute auf morgen
malen können, sondern durch meine
Erlebnisse einiger Jahre, vom Tode
meines Vaters [2] an; ich habe mehr
eine Vision gemalt als nach Zeichnungen
Bilder. – Vielleicht bist Du jetzt dem
Ganzen näher, ich weiß es nicht, ich habe
das Bild malen müssen, gleich ob es
malerisch gut oder schlecht ist, wenn
Du aber einiges wüßtest wie mir die
Welt vorkommt und wie mir bis jetzt
die Menschen gegenüber waren, ich
meine wie falsch; so muß ich dorthin
||
kehren und solche Bilder malen, die
nur für mich wert haben. Es
ist nur aus Innigkeit entstanden. –
Ich ersehe daß Du mir ganz aufrichtig
willst, ich bin ebenso weil ich nichts
an dem Bild ändern würde.
Es grüßt Dich herzlich!
Egon Schiele.
Anmerkungen
[1] Eremiten, 1912, K P229.
[2] Adolf Schiele (1851–1905).
[2] Adolf Schiele (1851–1905).
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt, als Quelle wird Leopold 1979, S. 510-511 angegeben.
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Verbleib unbekannt, als Quelle wird Leopold 1979, S. 510-511 angegeben.
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Erfasst in
Leopold 1972, S. 510; Leopold Museum 2008, S. 97-100
Eigentümer*in
Autor*in
Unterzeichner*in
Empfänger*in
Erwähnte Person
Abbildungsnachweis
Leopold Museum, Wien
Verknüpfte Objekte
(+-)
PURL: https://www.egonschiele.at/45