Brief auf vier Feldpostkarten von Egon Schiele an Edith Schiele
ESDA ID
2531
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Bestandsnachweis
Courtesy Kallir Research Institute, New York
Ort
Prag
Datierung
um den 25.06.1915 (inhaltlich)
Material/Technik
Bleistift auf Papier
Transkription
I.
Es ist ¾ 5h. Höre daß Lemberg uns gehört – wenn – bravo! auch höre ich
daß die deutschsprechenden nach Theresienstadt kommen sollen
zu die 42. und diese uns schon abholen – da ist ja
Peschka [1] dabei! – einen Wiener getroffen. mir ist
viel leichter seit ich Dich gesehen und weiß wo Du bist –
trachte alles zu tun damit Du gleich dorthin kommst
wo ich bin. Wenn uns betreffs Geld gar nichts mehr
ausgeht – so besuche Frau Dr. Freund, [2] Prag, Postgasse 7.
ich kenne sie seit wir 1910 hier die Neukunstausstellung [3]
gemacht haben – diese Frau ist sehr kunstverständig und
hat mit vielen kunstsinnigen Prager reichen Leuten
Verbindungen. – ich habe eine Anzahl von den neuesten
Zeichnungen in meinem oder Deinem Gepäck – diese
Blätter nehme mit und stelle Dich dort kurzerhand
||
als meine Frau vor. Frau Freund selbst – oder ihre Bekannten
werden Blätter kaufen – wenn nötig zeige als
Beweis diese Karte. Am liebsten möchte ich aber
diese Blätter nicht verkaufen, sondern unter diesen Umständen als
Pfand für vielleicht auszuborgendes Geld solange
lassen bis von Bö. [4] oder anderswoher Geld kommt – alles
Übrige wird Dir Frau Dr. Freund sagen – sie ist sehr nett. –
Wenn aber jemand Blätter kauft, so sind diese nicht anders
als 50K pro Blatt abzugeben u. zwar müßten dann mindestens
4 Blätter verkauft werden – also 200K für
das Nötigste! – Wenn Du Frau Dr. Freund nicht
treffen solltest, was ich nicht glaube, so wäre noch ein
Ausweg, nämlich Frau Mercy [5] die Prager-Tagblatt Herausgeber
– diese sind wieder mit Frau Dr. Freund bekannt.
||
II.
wir Faistauer [6] und ich waren ein oder zweimal mittags bei
Frau Mercy geladen – diese Leute kennen wieder Orlik [7]
und Oppenheimer, [8] – ersterer ist oft dort. Sollte Orlik (Maler)
in Prag sein, so würde er sofort helfen – so viel ich weiß
hat er selbst schon viele Zeichnungen bei Professor Hoffmann [9]
in Wien gekauft. Frau Dr. Bosser [10] Prag hat auch Blätter
von mir diese Leute sind alle untereinander gut bekannt
weil alle Mitglieder der Deutschen-Künstlerinnen Prag
sind. – Wir warten bereits, einige sagen wieder wir [?]
Urschowitz Prag – fragen. – Es ist ¾ 11h.
Die Präsentierung hinter mir.: „für Bewachungsdienst“
Reg.[iment] 75. nach Neuhaus. wahrscheinlich fahren wir heute
oder morgen weg – jedenfalls schreibe ich Dir wenn ich
||
halbwegs kann sofort bei der Abfahrt. und wenn Du
schon Geld hast und weißt daß wir sicher fort sind
so komme sofort hin. Frage im Hotel wie man
am besten hinfährt Neuhaus i. Böhm. Reg. 75. –
eben sah ich auf einer Landkarte daß Neuhaus
an einer Zweigstrecke von Wesely-Mecimosti
liegt – Du mußt vom Franz Jos. Bahnhof also
bis Wesely-Mecimosti fahren und dort umsteigen.
ich erinnere mich daß ich vor 2 Jahren
hätte über Sommer dorthin kommen sollen.
∙/∙ III.
||
III.
ein Freund von dem Herren der mich unlängst
in Wien besuchte, hat dort eine Villa, ich glaube
ich erzählte Dir schon davon, mir ist aber der
Name von den Herren entfallen. – Vorderhand
müßtest Du in einen Gasthof ein Zimmer nehmen und
wenn ich den Namen weiß so werde ich dorthin
gehe – ich hätte nämlich vor zwei Jahren so
lange ich hätte wollen umsonst dort wohnen
können und ich weiß wenn er die Villa frei
stehen hat wir zusammen bei ihm Gäste wären.
||
IV.
Du armes Diderle Du wirst doch nicht
den ganzen Tag gewartet haben?
es ist 5h von früh [?] bis jetzt sind
Präsentierungen u. zwar wirklich
gründlich, sei froh daß ich zur „Bewachung“
komme, ich tat was möglich war und
glaube daß dies das Beste ist. in die
Front komme ich nicht. – Wenn nur
schon Geld da wäre so könntest Du
gleich fort, tue Dein Möglichstes daß
Du sofort nachkommst und wenn
wir uns nicht anders in Neuhaus
treffen so mußt Du dort fragen,
– ich glaube wenn man die Kluft
hat so kann man heraus. –
Wenn es Dir möglich ist so schreibe
mir einen ausführlicheren Brief
was wir vielleicht jetzt nicht
mehr besprechen können an:
E. S. einj. freiw. Regiment 75.
in Neuhaus in Böhmen. –
Wirst Du auch hinfinden liebes
||
Kind? Du mußt das erste mal ganz allein
handeln. Erkundige Dich genau wie Du dort hin-
kommst hörst Du? Weil man umsteigen
muß. ich glaube sicher daß wir’s trotz des
Militärs noch einen schönen Sommer
haben werden, es soll dort sehr schön sein.
Allerdings muß ich auch „eine“ Ausbildung, „genießen“.
Freue Dich wie ich mich, daß die elenden Hundstage
in der Gefangenschaft bald aufhören!
sei recht brav und wir werden uns bald
ganz ganz lieb haben und nahe sein!
Anmerkungen
[1] Anton Peschka (1885–1940).
[2] Ida Freund, geb. Sohr, Publizistin und Malerin (1868–1931).
[3] Neukunstgruppe Wien 1910, Klub deutscher Künstlerinnen, Prag, 01.–17.02.1910.
[4] Vermutlich Heinrich Böhler (1881–1940).
[5] Ottilie Mercy, geb. Austerlitz (1870–1916).
[6] Anton Faistauer (1887–1930).
[7] Emil Orlik (1870–1932).
[8] Max Oppenheimer (1885–1954).
[9] Josef Hoffmann (1870–1956).
[10] Nicht identifiziert.
Motiv
Feldpostkarte
Provenienz
Privatbesitz, Linz
Erfasst in
Abschrift im Archiv des Kallir Research Institute, New York
Unterzeichner*in
Erwähnte Institution

Ausstellungen

(+-)
  • Neukunstgruppe Wien 1910
    Klub deutscher Künstlerinnen, Prag, 01.–17.02.1910
PURL: https://www.egonschiele.at/2531