Pollak 1913

Friedrich Pollak: „Kunst der Woche“, in: Der Morgen, 17.02.1913, S. 14
In den Räumen der Vereinigung bildender Künstlerinnen sehen wir eine Reihe interessanter Kollektionen: Hermine Ginzreh zeigt feine Landschaften, in denen speziell die Stimmungen der Dämmerung gut empfunden sind. Barwigs entzückend lebendige Tierdarstellungen, die in keiner Weise hinter Gaul zurückblciben, sind ja genügsam bekannt, werden aber immer wieder gern betrachtet. Buchta ist nicht unerheblich gewachsen. Er verfolgt in seinen Stilleben Cézannesche Tendenzen, ohne dabei Fantin-Latour aus den Augen zu verlieren. Mit ersterem teilt er die Weiche des Vortrages, mit letzterem den erlesenen Geschmack, nur fehlt ihm noch das feste Zusammenhalten der Valeurs. Ein liegender Akt ist von wundervoller Struktur des Fleisches; die „weißen Rosen“ mit dem aparten Grau der Vase scheinen uns – im Rahmen seiner sonst immer gleich hochstehenden Geschmackskultur – besonders hervorstechend. Larsen stimmt bedenklich. Seine noch immerwährende Abhängigkeit von Marees (in einem Kopfe von Carriere) würde noch nichts machen. Der Ton ist von samtiger Weiche, die Valeurs, aus denen er gern ein warmes Rot aufleuchten läßt, sind wohl schön, der Vortrag ist locker, die Kompositionen seiner idyllischen Nacktheiten wohl empfunden und geschmackvoll durchgedacht, aber – aber – das hat der Mann vor zwei Jahren alles schon genau so gemacht und Stillestehen ist auch, oder gerade, für den Künstler Rückwärtsschreiten. Wenn er sich nicht einen energischen Ruck gibt, sieht zu befürchten, daß er in Manier, wenn auch in schöner Manier, erstarrt. Reine Freude bereitet Karl Sterrer, der in dem Wust des Künstlerhauses wohl auffiel, aber nie recht zur Geltung kam. Hier wird er sich nun voll und ganz durchsetzen. In den Landschaften geht er auf die größte Vereinfachung der Linien und Flächen los, die er wohl von den Japanern gelernt hat. Figural hängt er von Welti ab, dessen krause Linienführung und unruhige Farbengebung hier aber einer höchst wohltuenden Einfachheit in jeder Beziehung gewichen ist. Alle seine Darstellungen, gleichviel ob Landschaft oder Märchen, sind von echter deutscher Poesie erfüllt, das Studium der Einzelheit ist nie vernachlässigt, aber auch nie über dem Rahmen seiner jeweiligen Bedeutung hinaus zu stark betont. Die Farbe ist frisch und bestimmt, die Palette reichhaltig, ohne bunt zu sein. Die weiblichen Torsen groß gesehen, ein Selbstporträt famos im Leiblschen Sinne durchstudiert. Die große dekorative Form bricht überall siegreich durch.
Es war eine gute, zur gefälligen Nachahmung dringendst zu empfehlende Idee von Miethke, Privatsammlungen, deren wir in Wien ja so schöne und reichhaltige in großer Zahl besitzen, dem Publikum auf diese Weise vorzuführen. Die Sammlung Dr. Reichel, die man eben sieht, hat sich in der Geschichte der österreichischen Kunst einen dauernden Ehrenplatz dadurch erworben, daß der Amateur Romako planvoll und zielbewußt durch Jahrzehnte gesammelt und so quasi einen der bedeutendsten Künstler Österreichs der unverdienten Vergessenheit entrissen hat. Von dieser ganz einzig reichhaltigen Kollektion aus wird auch die künftige Biographie Romakos und seiner Kunst zu schreiben sein. Sehr wünschenswert wäre es auch, daß diese so abgerundete Sammlung den Weg ins Ausland findet, um so den Deutschen das Evangelium dieses großen und eigenartigen Meisters zu predigen, dieses Bahnbrechers, der in Deutschland selbst in Fachkreisen derart unbekannt geblieben ist, daß mir einer der bedeutendsten deutschen Kunsthistoriker noch vor zwei Jahren schreiben konnte: „Wer ist Romako?“ Meine kleine Monographie in „Nord und Süd“ hat da nun soweit Remedur geschaffen, daß Springers Handbuch in neuester Auflage wohl den Namen nennt – mehr aber nicht! An den Hauptwerken, die sich hier vereinigt finden, wird man alle Qualitäten des Meisters verfolgen können, vor allem aber, und darauf ist meines Erachtens der Hauptakzent zu legen, kann man aufs neue konstatieren, wie Renoir und unser Künstler zu gleicher Zeit die gleichen luministischen Tendenzen verfolgten. Ob im Einvernehmen miteinander? Für alle Fälle erweist das Bild mit den beiden Frauen und dem wilden Wein im Hinter gründe diese Tatsache nochmals zur Evidenz.
Ferner sehen wir eine seine, aber etwas manierierte „Meduse“ von Khnopff, das schon bekannte herrliche Selbstporträt von van Gogh, einen amüsant von unten gesehenen Frauenkopf von Toulouse-Lautrec, eine sonnige kleine Sumpflandschaft von Pettenkofen, endlich ein Interieur von Munch, das trotz (oder eben wegen) aller sanften Qualitäten für diesen Meister wenig sagt. Für die sehr zahl reich vertretenen jüngsten Wiener, wie Faistauer, Gütersloh, Kokoschka, Schiele, fehlt uns, wie wir gern offen gestehen, das Organ. Immerhin verraten die Zeichnungen Kokoschkas und Schieles großes Talent, Faistauers Stilleben eminentes Gefühl für Tonwerte. Oppenheimer dagegen scheint uns in gefährlichem Manierismus zu erstarren. Am besten noch seine Schneelandschaft, wo er noch nicht unter allen möglichen und unmöglichen Einflüssen (Kokoschka) steht. Die japanisch-monumentale Holzschnittflächenkunst des Salzburger Reichel sei willig anerkannt.
Was nun die im ersten Stock untergebrachte Gedächtnisausstellung Kahlers betrifft, so wollen wir, da alle an diesen Bildern beteiligten Faktoren, Greco, Cezanne und der Maler selbst, schon tot sind, unsere Ablehnung nicht mehr näher begründen, sondern nur an der Hand der schönen saftigen Freilichtstudie „Glashaus“ und des fest und sicher gefügten Selbstbildnisses den frühen Hintritt des Künstlers (1882–1911) beklagen. Vermutlich sind dies alles nur Produkte eines Gärungsprozesses.

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