Strzygowski 1912
Josef Strzygowski: „Feuilleton. Hagenbund-Abschied.“, in: Die Zeit, 27.03.1912, S. 1–2
Es soll nun wieder ein Stück warm pulsierenden österreichischen Lebens in einer Versenkung verschwinden. Der Hagenbund hat im Laufe der letzten zehn Jahre zweiundvierzig Ausstellungen veranstaltet. Diese Rührigkeit allein sollte hinreichen, zu verhindern, daß ihm die Gemeinde einfach das Messer an die Kehle setzt. Was geschieht alles, um einen Bureaukraten weich zu betten, wenn er den blauen Bogen bekommt! Der Hagenbund ist nach zehnjähriger Dienstzeit pensionsberechtigt, man darf ihn nicht obdachlos vor die Tür sehen, das läßt schon der Beamtenusus nicht zu. Nun hat aber der Hagenbund überdies allezeit rastlos im Felde gestanden, so daß man die Zahl seiner Dienstjahre gut verdoppeln kann. Zu seiner besonderen Aufgabe machte er, die Jungmannschaft der bildenden Kunst zu sammeln und in tüchtiger, arbeitsfroher Kraft zu schulen. Er hat ferner den Wienern die wertvollsten Einblicke in die ausländische Kunst und in einzelne ihrer führenden Persönlichkeiten eröffnet und niemals den Standpunkt der Mode und des Geschäftes vertreten. Seine Ziele waren stets vornehm künstlerische. Wenn man ihn daher sang- und klanglos der Kündigung auslieferte, so wäre das schwerer Undank. Wir sind nicht so reich an opferfreudig auf die höchsten Ziele eingestellten Kunstverbänden, daß die Oeffentlichkeit sich einfach abwenden dürfte, als ginge sie die Sache nichts an. Der Hagenbund muß erhalten bleiben! Besser eigentlich wäre noch, der Hagenbund vereinigte sich mit den anderen Obdachlosen, jenen Künstlern nämlich, die im Auslande in erster Linie genannt werden, wenn es sich um die bildende Kunst in Oesterreich handelt: Klimt, Wagner und Hofmann. Das wäre ein würdiger Abschluß der Hagenbund-Periode, wenn die Unmöglichkeit ihres Weiterbestehens zur Gründung eines größeren Verbandes führte, der unsere besten Kräfte vereinigte und in die Trostlosigkeit des Wiener Kunstlebens neue Hoffnungen brächte. Waren das nicht schöne Zeiten damals, als dem jungen Hagenbunde der Stuhl vor das Künstlerhaus gesetzt wurde, die Eifersucht der Kollegen über den großen Erfolg der beiden ersten Ausstellungen in den offiziellen Räumen zum Bruche, zugleich aber auch zum Erstarken der Freude am freien künstlerischen Schaffen führte, und man sich in der Markthalle in der Zedlitzgasse einrichtete? Die „maßgebenden Faktoren“ zusammen mit der Klimt-Gruppe könnten auch jetzt wieder den Abschied von den alten Räumen in ein Freudenfest der Wiener Kunst umwandeln.
Man besuche doch die jetzige, anscheinend letzte Ausstellung des Hagenbund es. Sie hätte aus Anlaß des Eintritts in das zweite Jahrzehnt des Bundes eine besonders würdige und interessante werden sollen. Infolge der Kündigung mußten wichtige Abmachungen mit ausländischen Künstlern rückgängig gemacht und jede nicht unbedingt nötige Ausgabe vermieden werden. Der Katalog legt diese Verhältnisse in einem Vorwort dar und entschuldigt bescheiden, was geboten wird. Und doch ist gerade diese zur Hälfte niedergetretene Jubiläumsausstellung eine der besten, die der Hagenbund geboten hat. Der Besucher findet sich in den beiden Hauptsälen ganz verblüfft Lurch die Beweise tüchtigen Könnens, die ihm von den Wänden entgegenleuchten. Vor allem hat Hugo Baar sich selbst übertroffen. Er hat eines seiner Gemälde einfach „Winters Schönheit“ genannt. Man hätte ruhig seine Hauptbilder unter diesem Titel zu einer geschlossenen Gruppe vereinigen können. Was -da in einer gereiften Technik zur vollen Wirkung gebracht ist, läßt kaum noch eine Steigerung möglich erscheinen.
Der Zauber der Morgen- und Abendsonne auf den Wald und Hütte in eine tiefe Schneehülle zusammenziehenden Frosthalden, die schöne Farbigkeit und strahlende Durchsichtigkeit des Lichtes, die glühenden Farbenornamente an einzelnen, voll von der Sonne getroffenen Stellen sind eine wahre Augenweide. Daneben bleibt ein Bild von Adolf Groß unvergeßlich, eine im Schnee begrabene Waldstelle, in deren gigantische Massen die Sonne sich den Weg bahnt. Und ähnlich stark ist auch die Wirkung einzelner Bilder von Otto Bauriedl und Josef Ullmann; letzterer bringt die eigentümlich gedrängte Landschaft durch einzelne schwere Wolken auf blauem Himmelsgrunde zu stärkster Wirkung.
In den Hauptsälen fesselt den Besucher noch Karl Huck durch phantastische Tierstücke. Schon die Namen kündigen – wenn man des Künstlers großdekorative Vogelbilder aus früheren Jahren vor Augen hat – die neue Wendung seiner Ideenwelt an: „Sterben“, „Phantastische Luft“, „Sodoma“, „Der Berggeist“. Immer sind es seltsame atmosphärische Stimmungen, in deren Farbengewoge sich Dramen der Vogelwelt abspielen oder ein dämonisches Verbundensein von Mensch und Tier gegeben ist. Ein Gast, Hans Unger aus Dresden, prägt sich durch seine stereotyp wiederkehrende Manier ein, worin ein monumental wirkender klassischer Kopf verbunden erscheint mit farbenprächtig gemalten Blumen. Der Nebensaal, in dem diese Gemälde vereinigt erscheinen, erhält seine Dominante durch ein Bild von Otto Barth „Der letzte Gang“, eine im Abendrot glühende Kirchenwand, die auf die Ferne packend wie ein richtiges Denkmal wirkt. In den Nebenräumen sind im übrigen Werke der Graphik und einzelne Maler vereinigt, deren Bilder bei vielen Entrüstung Hervor rufen dürften. Es muß ganz allgemein gesagt werden, daß von dem uniformen Pinselstrich, der so stark in der Sezession auffällt und zusammen mit einer gewissen temperamentlosen Sinnfälligkeit als deren eigentliches Kennzeichen gelten kann, im Hagenbund nicht anzutreffen ist. Hier erscheinen Individualitäten der heterogensten Richtung lediglich durch dünne Scheidewände getrennt. So sieht man da in einem Saal rechts die beiden Führer der einstigen Neukunstfüchse des Salons Pisko, Egon Schiele und Anton Faistauer. Schiele ist seiner Unnatur treu geblieben, Kokoschka ist ein Perverser Schöngeist neben ihm. Dem Selbstporträt, das Schiele ausstellt, sollte eine Photographie seines lammfrommen Milchgesichtes an die Seite gegeben sein; der Beschauer würde dann unmittelbar beurteilen können, in welchem Spiegel dieser Maler ekelerregender Vergeistigung des menschlichen Leibes die Natur steht. Seine landschaftlichen Motive machen den Eindruck, als wenn die natürliche Fügung der Raumdimensionen in seinem Hirn nicht normal eingestellt wäre. In einem Saale gegenüber fallen dem Ausstellungsbesucher Menschengewächse auf, die man auf den ersten Blick als die Erzeugnisse eines Sonderlings von Bauernmaler hinnehmen möchte. Der Katalog aber stellt uns Herrn Georg Merkel in Paris als ihren Schöpfer vor. Man merkt die Absicht, wenn sich von der gleichen Hand unter Nr. 91 ein Bretonisches Mädchen, in Pastell ausgeführt, findet, das entgegen allem scheinbar Primitiven ganz normal modern gemalt ist.
Einen Saal füllen die von Oskar Laske von einer Orientfahrt mitgebrachten Skizzen. In dem großen Temperabild „Kreuzigung“ hat er seine ganze Kraft gesammelt. Radierungen und Federzeichnungen von August Brömse-Prag und Ferd. Staeger aus Böhmen sekundieren ihm. Andere Wände sind mit Radierungen von Franz Simon-Paris, Zeichnungen von Hans Böhler und anderen gefüllt. Treffliche Bronzen von Franz Barwig leiten den Beschauer über auf die Gruppe der Plastiken des Hagenbundes, von denen Karl Stemolak uns gleich am Eingange mit einem mißglückten Lessing-Denkmalentwurf empfängt. Die athletischen Akte von Männern und Weibern am Sockel mögen an sich ganz gut sein; bei der Lektüre von Lessings Werken stellen sie sich kaum in der Phantasie ein. Mehr spricht eine Jünglingsgestalt an, die Stemolak für das Grabmal des Chemikers Hofrat Skraup in Marmor geschaffen hat. Der Eigenartige Akt ist hier durchaus ansprechend zu ernstem Ausdruck vergeistigt.
Wir hoffen, daß der Hagenbund seine Pforten nicht zum letztenmale geöffnet hat. Die mit vielen Kosten hergerichtete Zedlitzhalle wird freilich nicht länger sein Heim und ein Lieblingstreffpunkt der Wiener Kunstfreunde sein. Me hat einst Lurch den Architekten Urban ihre Gestalt bekommen und gehörte zu den Sehenswürdigkeiten Wiens. Die Räume hatten etwas Trauliches und ließen sich durch die geschickten Hände der Hagenbund-Architekten zu immer neuen Raumvariationen gestalten. Der vorliegende Katalog gibt eine kurze Uebersicht der Kunstbewegung, die sich dort im Parkviertel abgespielt hat. Wie zu den Wiener Mitgliedern des Hagenbundes 1902 der tschechische Verband „Manes“, 1908 die polnische „Sztuka“ stieß, 1903 Böcklin, 1904 Liebermann, 1906 Meunier und Corinth, 1907 die beiden Zügel, Wrba u. a., 1908 Rysselberghe, Parin, Sieck (der auch jetzt wieder trefflich vertreten ist) und Haider, 1909 Hierl-Deronco und Busch, 1910 Hettner vorgeführt wurden und Kollektivausstellungen der Münchner zeichnenden Künstler, der englischen (Radierer, der Sachsen, der ungarischen „Köve“ (endlich der Schweden und Norweger abwechselten. Möge die jetzige, den Hagenbund Repräsentierende Gruppe von Künstlern an der (starken Teilnahme, die ihre letzte Ausstellung im alten Heim findet, erkennen, wie lebhaft sie Dank und Anerkennung beim Wiener Publikum für all die wertvollen, echt künstlerischen Darbietungen erntet.
Man besuche doch die jetzige, anscheinend letzte Ausstellung des Hagenbund es. Sie hätte aus Anlaß des Eintritts in das zweite Jahrzehnt des Bundes eine besonders würdige und interessante werden sollen. Infolge der Kündigung mußten wichtige Abmachungen mit ausländischen Künstlern rückgängig gemacht und jede nicht unbedingt nötige Ausgabe vermieden werden. Der Katalog legt diese Verhältnisse in einem Vorwort dar und entschuldigt bescheiden, was geboten wird. Und doch ist gerade diese zur Hälfte niedergetretene Jubiläumsausstellung eine der besten, die der Hagenbund geboten hat. Der Besucher findet sich in den beiden Hauptsälen ganz verblüfft Lurch die Beweise tüchtigen Könnens, die ihm von den Wänden entgegenleuchten. Vor allem hat Hugo Baar sich selbst übertroffen. Er hat eines seiner Gemälde einfach „Winters Schönheit“ genannt. Man hätte ruhig seine Hauptbilder unter diesem Titel zu einer geschlossenen Gruppe vereinigen können. Was -da in einer gereiften Technik zur vollen Wirkung gebracht ist, läßt kaum noch eine Steigerung möglich erscheinen.
Der Zauber der Morgen- und Abendsonne auf den Wald und Hütte in eine tiefe Schneehülle zusammenziehenden Frosthalden, die schöne Farbigkeit und strahlende Durchsichtigkeit des Lichtes, die glühenden Farbenornamente an einzelnen, voll von der Sonne getroffenen Stellen sind eine wahre Augenweide. Daneben bleibt ein Bild von Adolf Groß unvergeßlich, eine im Schnee begrabene Waldstelle, in deren gigantische Massen die Sonne sich den Weg bahnt. Und ähnlich stark ist auch die Wirkung einzelner Bilder von Otto Bauriedl und Josef Ullmann; letzterer bringt die eigentümlich gedrängte Landschaft durch einzelne schwere Wolken auf blauem Himmelsgrunde zu stärkster Wirkung.
In den Hauptsälen fesselt den Besucher noch Karl Huck durch phantastische Tierstücke. Schon die Namen kündigen – wenn man des Künstlers großdekorative Vogelbilder aus früheren Jahren vor Augen hat – die neue Wendung seiner Ideenwelt an: „Sterben“, „Phantastische Luft“, „Sodoma“, „Der Berggeist“. Immer sind es seltsame atmosphärische Stimmungen, in deren Farbengewoge sich Dramen der Vogelwelt abspielen oder ein dämonisches Verbundensein von Mensch und Tier gegeben ist. Ein Gast, Hans Unger aus Dresden, prägt sich durch seine stereotyp wiederkehrende Manier ein, worin ein monumental wirkender klassischer Kopf verbunden erscheint mit farbenprächtig gemalten Blumen. Der Nebensaal, in dem diese Gemälde vereinigt erscheinen, erhält seine Dominante durch ein Bild von Otto Barth „Der letzte Gang“, eine im Abendrot glühende Kirchenwand, die auf die Ferne packend wie ein richtiges Denkmal wirkt. In den Nebenräumen sind im übrigen Werke der Graphik und einzelne Maler vereinigt, deren Bilder bei vielen Entrüstung Hervor rufen dürften. Es muß ganz allgemein gesagt werden, daß von dem uniformen Pinselstrich, der so stark in der Sezession auffällt und zusammen mit einer gewissen temperamentlosen Sinnfälligkeit als deren eigentliches Kennzeichen gelten kann, im Hagenbund nicht anzutreffen ist. Hier erscheinen Individualitäten der heterogensten Richtung lediglich durch dünne Scheidewände getrennt. So sieht man da in einem Saal rechts die beiden Führer der einstigen Neukunstfüchse des Salons Pisko, Egon Schiele und Anton Faistauer. Schiele ist seiner Unnatur treu geblieben, Kokoschka ist ein Perverser Schöngeist neben ihm. Dem Selbstporträt, das Schiele ausstellt, sollte eine Photographie seines lammfrommen Milchgesichtes an die Seite gegeben sein; der Beschauer würde dann unmittelbar beurteilen können, in welchem Spiegel dieser Maler ekelerregender Vergeistigung des menschlichen Leibes die Natur steht. Seine landschaftlichen Motive machen den Eindruck, als wenn die natürliche Fügung der Raumdimensionen in seinem Hirn nicht normal eingestellt wäre. In einem Saale gegenüber fallen dem Ausstellungsbesucher Menschengewächse auf, die man auf den ersten Blick als die Erzeugnisse eines Sonderlings von Bauernmaler hinnehmen möchte. Der Katalog aber stellt uns Herrn Georg Merkel in Paris als ihren Schöpfer vor. Man merkt die Absicht, wenn sich von der gleichen Hand unter Nr. 91 ein Bretonisches Mädchen, in Pastell ausgeführt, findet, das entgegen allem scheinbar Primitiven ganz normal modern gemalt ist.
Einen Saal füllen die von Oskar Laske von einer Orientfahrt mitgebrachten Skizzen. In dem großen Temperabild „Kreuzigung“ hat er seine ganze Kraft gesammelt. Radierungen und Federzeichnungen von August Brömse-Prag und Ferd. Staeger aus Böhmen sekundieren ihm. Andere Wände sind mit Radierungen von Franz Simon-Paris, Zeichnungen von Hans Böhler und anderen gefüllt. Treffliche Bronzen von Franz Barwig leiten den Beschauer über auf die Gruppe der Plastiken des Hagenbundes, von denen Karl Stemolak uns gleich am Eingange mit einem mißglückten Lessing-Denkmalentwurf empfängt. Die athletischen Akte von Männern und Weibern am Sockel mögen an sich ganz gut sein; bei der Lektüre von Lessings Werken stellen sie sich kaum in der Phantasie ein. Mehr spricht eine Jünglingsgestalt an, die Stemolak für das Grabmal des Chemikers Hofrat Skraup in Marmor geschaffen hat. Der Eigenartige Akt ist hier durchaus ansprechend zu ernstem Ausdruck vergeistigt.
Wir hoffen, daß der Hagenbund seine Pforten nicht zum letztenmale geöffnet hat. Die mit vielen Kosten hergerichtete Zedlitzhalle wird freilich nicht länger sein Heim und ein Lieblingstreffpunkt der Wiener Kunstfreunde sein. Me hat einst Lurch den Architekten Urban ihre Gestalt bekommen und gehörte zu den Sehenswürdigkeiten Wiens. Die Räume hatten etwas Trauliches und ließen sich durch die geschickten Hände der Hagenbund-Architekten zu immer neuen Raumvariationen gestalten. Der vorliegende Katalog gibt eine kurze Uebersicht der Kunstbewegung, die sich dort im Parkviertel abgespielt hat. Wie zu den Wiener Mitgliedern des Hagenbundes 1902 der tschechische Verband „Manes“, 1908 die polnische „Sztuka“ stieß, 1903 Böcklin, 1904 Liebermann, 1906 Meunier und Corinth, 1907 die beiden Zügel, Wrba u. a., 1908 Rysselberghe, Parin, Sieck (der auch jetzt wieder trefflich vertreten ist) und Haider, 1909 Hierl-Deronco und Busch, 1910 Hettner vorgeführt wurden und Kollektivausstellungen der Münchner zeichnenden Künstler, der englischen (Radierer, der Sachsen, der ungarischen „Köve“ (endlich der Schweden und Norweger abwechselten. Möge die jetzige, den Hagenbund Repräsentierende Gruppe von Künstlern an der (starken Teilnahme, die ihre letzte Ausstellung im alten Heim findet, erkennen, wie lebhaft sie Dank und Anerkennung beim Wiener Publikum für all die wertvollen, echt künstlerischen Darbietungen erntet.
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FrühjahrsausstellungHagenbund, Zedlitzhalle, Wien, 23.03.–ca. 31.07.1912