Brief von Karl von Felner an Egon Schiele
Leopold Museum, Wien
ESDA ID
2926
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Bestandsnachweis
Leopold Museum, Wien, Inv. 7917
Ort
Berlin
Datierung
19.04.1915 (eigenhändig)
Material/Technik
Tinte auf Papier
Maße
27,3 x 20,3 cm (Seite)
Transkription
Berlin-Westend, Leistikowstr.[aße] 6.
den 19. April 1915.
Sehr geehrter Herr Schiele!
Von Roessler [1] erfahre ich, daß Sie im
Herbste nach Berlin ziehen werden oder wollen.
Da muss ich Sie schnell daran erinnern, daß
ich Sie vor zwei Jahren im Sommer um-
sonst habe auf mich warten lassen. Das kommt
zwar häufig vor, soll natürlich nicht vorkom-
men; und wenns vorkommt, dann solls halt
nicht nachgetragen werden! Und ich glaube, Sie
werden mich schon aufsuchen, wenn Sie hier sind!
Oder mir gar schreiben, wann Sie kommen?
Bitte! –
Jeder von uns hat recht, wenn er aus
unserem traurigen Landl fortgeht. Es ist schade
um das Landl, weiß der Herrgott! Aber um
uns auch. Und darum gehn wir halt dorthin,
||
wo wir glauben, daß es besser ist. Grauslich
ists ja hier auch für uns; wie überall. Aber
hier halten die Leute ihr Wort um einmal
öfter als bei uns, und das ist schon riesig
viel! und so furchtbare Trotteln wie bei
uns gibt’s hier doch nicht. –
Landsturmmann Roessler wollte auch
einmal Berliner werden. Da kam der Krieg
dazwischen. Jetzt heult er mit anderthalb
Augen, und ein halber [!] blitzt kriegerisch.
Also, Herr Schiele, es wohnt ein Landsmann
hier, der sich freut, dass noch einer kommt.
Er grüßt Sie bestens und heißt
Karl von Felner
[Kuvert:]
Unverschlossen
Herrn Egon Schiele,
Wien, XIII.
Hietzinger Hauptstrasse 101. –
||
KARL VON FELNER
BERLIN-WESTEND
LEISTIKOWSTRASSE 6.
den 19. April 1915.
Sehr geehrter Herr Schiele!
Von Roessler [1] erfahre ich, daß Sie im
Herbste nach Berlin ziehen werden oder wollen.
Da muss ich Sie schnell daran erinnern, daß
ich Sie vor zwei Jahren im Sommer um-
sonst habe auf mich warten lassen. Das kommt
zwar häufig vor, soll natürlich nicht vorkom-
men; und wenns vorkommt, dann solls halt
nicht nachgetragen werden! Und ich glaube, Sie
werden mich schon aufsuchen, wenn Sie hier sind!
Oder mir gar schreiben, wann Sie kommen?
Bitte! –
Jeder von uns hat recht, wenn er aus
unserem traurigen Landl fortgeht. Es ist schade
um das Landl, weiß der Herrgott! Aber um
uns auch. Und darum gehn wir halt dorthin,
||
wo wir glauben, daß es besser ist. Grauslich
ists ja hier auch für uns; wie überall. Aber
hier halten die Leute ihr Wort um einmal
öfter als bei uns, und das ist schon riesig
viel! und so furchtbare Trotteln wie bei
uns gibt’s hier doch nicht. –
Landsturmmann Roessler wollte auch
einmal Berliner werden. Da kam der Krieg
dazwischen. Jetzt heult er mit anderthalb
Augen, und ein halber [!] blitzt kriegerisch.
Also, Herr Schiele, es wohnt ein Landsmann
hier, der sich freut, dass noch einer kommt.
Er grüßt Sie bestens und heißt
Karl von Felner
[Kuvert:]
Unverschlossen
Herrn Egon Schiele,
Wien, XIII.
Hietzinger Hauptstrasse 101. –
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KARL VON FELNER
BERLIN-WESTEND
LEISTIKOWSTRASSE 6.
Anmerkungen
[1] Arthur Roessler, Schriftsteller (1877–1955).
Provenienz
Vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Erwähnte Person
Abbildungsnachweis
Leopold Museum, Wien
PURL: https://www.egonschiele.at/2926