Brief von Egon Schiele an Marie Schiele
Leopold Museum, Wien
ESDA ID
131
Nebehay 1979
551
Bestandsnachweis
Leopold Museum, Wien, Inv. 7562
Ort
Altmünster am Traunsee
Datierung
15.07.1913 (eigenhändig)
Material/Technik
Bleistift auf Papier
Maße
22,4 (12,7) x 17,7 (19) cm (Seite)
Transkription
15. Juli 1913.
Dienstag.
Liebe M.[utter] ich sehe alles ein, möchte,
gerne glaub’ mir; Du tust mir
aber unrecht. – ich fahre
meines Berufes wegen, dies
kostet auch weniger als Wien;
ich will meine Freude an der
Welt genießen, darum kann
ich schaffen; wehe dem aber
der sie mir nimmt. – Von nichts,
und niemand half mir, ich
habe meine Existenz mir
zu verdanken. Leicht ist, wenn
man einen Gehalt hat. – Ich
habe kein Geld liegen, lebe
von heute auf morgen, daß
ist meine Freude. Wenn ich
liegen hätte schenkte ich’s fort.
Ich brauche keinen Deckmantel
||
Du tust mir aber unrecht, fortwährend,
weil Du nicht begreifst daß ich
alles das, um dies schaffen zu
können unumgänglich notwendig
brauche. – Warum hilfst du mir
nicht? – Ich habe mehr durchmachen
müssen wie Du, im Verhältnis
bis jetzt, warum vergönnt
man mir nicht meine Freiheit,
natürlich die ist das größte Gut,
und kostete und kostet unendlichen
Kampf. – Schade und bedauerlich
der welcher nicht kämpft. –
Geduld haben! –
Suche im Primitiven die Wohltat!
Du wirst sie erreichen! und
glücklich sein. Nicht das
Zimmer! Hinaus!
||
Wer aber an meinen Empfindungen
zweifelt, das Andenken an
Verstorbene, der sticht mich
in’s Herz. ich weine nicht
mit Tränen und erinnere mich
nicht mit Geld. – Wer weiß
und kennt mich! Darum zweifle
ich an Dir. Bloß Banalität!
Leben und Sterben ist schön.
Ich freue mich auf Beides!
So lange Elemente sind, werden
sich auch die Körper begegnen!
Wenn ich Geld momentan hätte
würde ich sofort schicken was ich
habe. ich muß aber warten!
und glaube daß ich mir als
Erstes vorgenommen habe
sofort Geld zu senden um das
Grab endlich zu richten;
||
ich sitze aber nicht auf Geld, habe
nicht einen Heller gespart.
Ersuche Peschka [1] er möchte un-
bedingt bei Hauser, bei
Hauser nicht bei Kleiner
fragen was ein dicker Sockel,
sagen wir 100 cm x 80 cm aus
Kunststein!
[Skizze]
d.[as] ist Beton, der
als Sockel eben
für eine Keramik die ich mache
kosten würde. – ich [!] glaube höchstens
150 K. Peschka soll sofort an mich
schreiben!: Egon Schiele
p[e]r. Adresse: Kunstschriftsteller
Arthur Rößler
z. z. [zur Zeit] Altmünster am Traunsee
Haus Gaigg. Herzlichst
Egon.
[Kuvert:]
Frau Marie Schiele
Wien IX.
Liechtensteinstraße 139
Dienstag.
Liebe M.[utter] ich sehe alles ein, möchte,
gerne glaub’ mir; Du tust mir
aber unrecht. – ich fahre
meines Berufes wegen, dies
kostet auch weniger als Wien;
ich will meine Freude an der
Welt genießen, darum kann
ich schaffen; wehe dem aber
der sie mir nimmt. – Von nichts,
und niemand half mir, ich
habe meine Existenz mir
zu verdanken. Leicht ist, wenn
man einen Gehalt hat. – Ich
habe kein Geld liegen, lebe
von heute auf morgen, daß
ist meine Freude. Wenn ich
liegen hätte schenkte ich’s fort.
Ich brauche keinen Deckmantel
||
Du tust mir aber unrecht, fortwährend,
weil Du nicht begreifst daß ich
alles das, um dies schaffen zu
können unumgänglich notwendig
brauche. – Warum hilfst du mir
nicht? – Ich habe mehr durchmachen
müssen wie Du, im Verhältnis
bis jetzt, warum vergönnt
man mir nicht meine Freiheit,
natürlich die ist das größte Gut,
und kostete und kostet unendlichen
Kampf. – Schade und bedauerlich
der welcher nicht kämpft. –
Geduld haben! –
Suche im Primitiven die Wohltat!
Du wirst sie erreichen! und
glücklich sein. Nicht das
Zimmer! Hinaus!
||
Wer aber an meinen Empfindungen
zweifelt, das Andenken an
Verstorbene, der sticht mich
in’s Herz. ich weine nicht
mit Tränen und erinnere mich
nicht mit Geld. – Wer weiß
und kennt mich! Darum zweifle
ich an Dir. Bloß Banalität!
Leben und Sterben ist schön.
Ich freue mich auf Beides!
So lange Elemente sind, werden
sich auch die Körper begegnen!
Wenn ich Geld momentan hätte
würde ich sofort schicken was ich
habe. ich muß aber warten!
und glaube daß ich mir als
Erstes vorgenommen habe
sofort Geld zu senden um das
Grab endlich zu richten;
||
ich sitze aber nicht auf Geld, habe
nicht einen Heller gespart.
Ersuche Peschka [1] er möchte un-
bedingt bei Hauser, bei
Hauser nicht bei Kleiner
fragen was ein dicker Sockel,
sagen wir 100 cm x 80 cm aus
Kunststein!
[Skizze]
d.[as] ist Beton, der
als Sockel eben
für eine Keramik die ich mache
kosten würde. – ich [!] glaube höchstens
150 K. Peschka soll sofort an mich
schreiben!: Egon Schiele
p[e]r. Adresse: Kunstschriftsteller
Arthur Rößler
z. z. [zur Zeit] Altmünster am Traunsee
Haus Gaigg. Herzlichst
Egon.
[Kuvert:]
Frau Marie Schiele
Wien IX.
Liechtensteinstraße 139
Anmerkungen
[1] Anton Peschka (1885–1940).
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt, als Quelle wird Roessler 1921, S. 32-33 angegeben.
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Verbleib unbekannt, als Quelle wird Roessler 1921, S. 32-33 angegeben.
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Erfasst in
Roessler 1921, S. 32/33
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Erwähnte Person
Abbildungsnachweis
Leopold Museum, Wien
Verknüpfte Objekte
(+-)
PURL: https://www.egonschiele.at/131