Manifesto of the Neukunstgruppe – 2nd version
Albertina, Vienna
ESDA ID
772
Nebehay 1979
671
Credit line
Albertina, Vienna, Inv. ESA 1056
Date
16th May 1914 (inferred from content)
Material/technique
Pencil on paper
Dimensions
23 x 16 cm
Transcription
DIE KUNST – DER NEUKÜNSTLER
Es gibt keine „moderne“ Kunst. Es gibt nur
eine Kunst; die ist immerwährend. Kunst
bleibt immer gleich dasselbe: Kunst. Deshalb
gibt es keine „Neukunst“. Aber – es gibt Neu-
künstler. Schon die Studie eines Neukünstlers
allein ist immer ein Kunstwerk; denn sie ist ein
Stück von ihm selbst, das lebt. Es gibt nur wenig,
ganz wenig Neukünstler. Erkorene. Der Neu-
künstler muß unbedingt er selbst sein; er muß
Schöpfer sein; er muß unvermittelt, ohne all das
Vergangene und Hergebrachte zu benützen, ganz
allein den Grund in sich haben, auf dem er baut.
Nur dann ist er Neukünstler.
Es sei jeder einzelne von uns er selbst, ein
Selbst. Wer in Betracht kommen will, muß
das Bewußtsein haben, allein, für sich selbst
existieren zu können. Und er muß seiner Zu-
kunft wenigstens im Geiste vertrauen können.
Alle echten Neukünstler schaffen eigentlich nur
allein für sich. Sie bilden, was sie wollen. Sie
bilden, sie porträtieren alles. Die Mitmenschen
fühlen ihre Erlebnisse nach.
Des Neukünstlers Gegensatz ist das Re-
zept. Eine Epoche zeigt der Künstler, ein Stück
seines Lebens. Und immer durch ein großes
Erlebnis im Sein. Die Künstlerindividualität be-
ginnt eine neue Epoche, die kurz oder lang dauert,
je nach dem zurückgebliebenen Eindruck, der
mehr oder minder viel Gewicht hat, und nach
dem der Künstler sein Erlebnis voll und voll-
kommen gebildet hat.
Der Künstler muß sein: von Vornehmsten der
Vornehmste; von Rückgebern der Rückgebigste.
Er muß Mensch sein, mehr als jeder andere,
und er muß den Tod lieben und das Leben.
Die höchste Empfindung ist Religion und Kunst.
Natur ist Zweck. Aber dort ist Gott. Und der
Künstler muß ihn empfinden, stark, am stärksten.
Egon Schiele
Es gibt keine „moderne“ Kunst. Es gibt nur
eine Kunst; die ist immerwährend. Kunst
bleibt immer gleich dasselbe: Kunst. Deshalb
gibt es keine „Neukunst“. Aber – es gibt Neu-
künstler. Schon die Studie eines Neukünstlers
allein ist immer ein Kunstwerk; denn sie ist ein
Stück von ihm selbst, das lebt. Es gibt nur wenig,
ganz wenig Neukünstler. Erkorene. Der Neu-
künstler muß unbedingt er selbst sein; er muß
Schöpfer sein; er muß unvermittelt, ohne all das
Vergangene und Hergebrachte zu benützen, ganz
allein den Grund in sich haben, auf dem er baut.
Nur dann ist er Neukünstler.
Es sei jeder einzelne von uns er selbst, ein
Selbst. Wer in Betracht kommen will, muß
das Bewußtsein haben, allein, für sich selbst
existieren zu können. Und er muß seiner Zu-
kunft wenigstens im Geiste vertrauen können.
Alle echten Neukünstler schaffen eigentlich nur
allein für sich. Sie bilden, was sie wollen. Sie
bilden, sie porträtieren alles. Die Mitmenschen
fühlen ihre Erlebnisse nach.
Des Neukünstlers Gegensatz ist das Re-
zept. Eine Epoche zeigt der Künstler, ein Stück
seines Lebens. Und immer durch ein großes
Erlebnis im Sein. Die Künstlerindividualität be-
ginnt eine neue Epoche, die kurz oder lang dauert,
je nach dem zurückgebliebenen Eindruck, der
mehr oder minder viel Gewicht hat, und nach
dem der Künstler sein Erlebnis voll und voll-
kommen gebildet hat.
Der Künstler muß sein: von Vornehmsten der
Vornehmste; von Rückgebern der Rückgebigste.
Er muß Mensch sein, mehr als jeder andere,
und er muß den Tod lieben und das Leben.
Die höchste Empfindung ist Religion und Kunst.
Natur ist Zweck. Aber dort ist Gott. Und der
Künstler muß ihn empfinden, stark, am stärksten.
Egon Schiele
Provenance
Max Wagner, Vienna
1954: Albertina, Vienna
1954: Albertina, Vienna
Recorded in
Pfemfert 1914, 4/20, S. 428; Roessler 1921, S. 17
Owner
Author
Mentioned institution
Image credit
Albertina, Vienna
Linked objects
(+-)
Bibliography
(+-)
-
Schiele 1914bEgon Schiele: “Die Kunst – der Neukünstler”, in: Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst, year 4, no. 20, 16th May 1914, col. 428
PURL: https://www.egonschiele.at/772