Letter from Marie Schiele to Egon Schiele
Leopold Museum, Vienna
ESDA ID
642
Nebehay 1979
537, nicht vollst. transkribiert/not fully transcribed
Credit line
Leopold Museum, Vienna, Inv. 8061
Place
Vienna
Date
8th July 1913 (handwritten)
Material/technique
Ink on paper
Dimensions
17,5 x 11,1 cm
Transcription
Wien d.[en] 8/7 1913
Lieber Egon!
Nachdem ich von Tag zu Tag
vergeblich warte, daß du mir
die entliehenen 20 K[ronen] senden
wirst, – doch vergeblich –
muß ich dich daran erin-
nern, den [!] ich glaube
kaum daß du nachdem
du fort Reisen machst
auf die 20 K anstehst –
bedenke den Monat blieb
der Erziehungsbeitrag aus,
u Gerti [1] gab mir auch
statt 20 nur 5 K mit
141 pro Monat kann ich
unmöglich leben –
Ich weiß nicht gegen an-
dere bist du so freigiebig
traurig, daß ich es von
anderen hören muß –
||
und gegen deine Mama
bist du so – das habe ich um
dich nicht verdient, den [!] ich
habe auch schon viel durchge-
macht wegen dir erinnere
dich der Worte der Spitzer’s
du sollst die Stütze mei-
nes Alters sein, wie lan-
ge werde ich noch sein –
du hast sonst niemanden
der es mit dir gut meint
glaub’ es mir –
Sonntag den vergange-
nen, hatte Gerti für ein
paar Heller ein Bouquet
erstanden, das sie durchaus
Ihren Papa [2] bringen wollte
Ich ließ mich herbei nach-
dem Peschka [3] die Fahrt zu theu-
er war, mitzufahren.
Hätte ich es nur nicht gethan
wir standen beide verstei-
nert am Grabe, sage sein
sollendem Grabe deines
armen Papa’s. Das ver-
wahrloseste ärmste Grab
birgt die Gebeine dei-
||
nes Vaters der für dich
Blut geschwitzt hätte –
Keine Blumen – Korn,
Disteln, Brenneßeln [!] – wu-
chern dort – unter diesem
Chaos liegt der Vorstand
von Tulln das ist eine
Schande – – wie viel Geld
wirfst du unütz [!] von dir
da wäre es am Platze
an dir ist es, dem Stammes-
halter, und einzigen Sohne
noch dazu Künstler etwas
zu thun. Ich soll als Witwe
gar nichts wissen davon
erspart mir um Gottes
Willen schon jede Aufre-
gung, an mir nackt [nagt] ohne-
hin genug Kummer
und Sorge – Gerti ist so
entsetzt daß sie lieber auf
die Kärntner Reise ver-
zichtet und für ihren Pa-
pa Blumen setzen lassen
will. Ich habe mir es auch
überlegt – der heurige
Sommer ist nicht danach
||
um in eine Sommerfrische
zu fahren, – und dann will
ich nicht soetwas erleben wie
im Vorjahre zu Bregenz wo
ich als Mutter weichen muß-
te mit bleibt Alles unver-
geßlich. Ich werde eventuell
mit Gerti auf einen Tag
nach Klagenfurt, aber nicht
im Hotel logi[e]ren, dazu
sind wir zu arm, und die
Nächte werden werden [!] wir
zur Hin und Herfahrt benüt-
zen, den reisen kostet
Geld das haben wir leider
nicht. Manche Menschen
haben es so schön werden
ganz erhalten und arbei-
ten nichts – und ich muß
mich so plagen und eine
Wohnung etc Alles selbst
bezahlen. Daß mein einzi-
ger Sohn einmal so sich
benimmt, hätte ich nie
für möglich gehalten
Für Alle und Alles hast
du Zeit, und Geld, nur
||
für deine arme Mama
nicht! – Gott verzeih es dir
ich kann es nicht. – Sie
haben doch einen Sohn
der so viel verdient
heißt es – ja der Sohn
könnte wenn er wollte,
aber Liebe läßt sich nicht
erzwingen. Wer än-
dert so deine Gesinnun-
gen die du vielleicht
hättest – Fluch dem jeni-
gen, und Mutterfluch
bleibt haften. merke
dir es! – ich weiß daß
ich einen schönen Brief
darauf bekommen werde,
bin es schon gewöhnt,
die sind aber auch alle
gut aufgehoben – Peschka
sagt mir oft wenn ich
so eine Mama hätte,
und soviel verdiene,
die würde ich gewiß
unterstützen – aber du,
du verschwendest es
||
an andere die es nicht
verdienen – – – – mir
wirfst du wie du soviel
Geld hattest 10 K hin – schänd-
lich! – O ich könnte etwas
thun wenn ich wollte
aber der Name „Schiele“
ist mir zu theuer.
Lebe wo[h]l und wirf wei-
ter dein Geld so hinaus
während ich darbe hun-
gere und mich zu Tode
gräme. – – – – – –
Mama
Lieber Egon!
Nachdem ich von Tag zu Tag
vergeblich warte, daß du mir
die entliehenen 20 K[ronen] senden
wirst, – doch vergeblich –
muß ich dich daran erin-
nern, den [!] ich glaube
kaum daß du nachdem
du fort Reisen machst
auf die 20 K anstehst –
bedenke den Monat blieb
der Erziehungsbeitrag aus,
u Gerti [1] gab mir auch
statt 20 nur 5 K mit
141 pro Monat kann ich
unmöglich leben –
Ich weiß nicht gegen an-
dere bist du so freigiebig
traurig, daß ich es von
anderen hören muß –
||
und gegen deine Mama
bist du so – das habe ich um
dich nicht verdient, den [!] ich
habe auch schon viel durchge-
macht wegen dir erinnere
dich der Worte der Spitzer’s
du sollst die Stütze mei-
nes Alters sein, wie lan-
ge werde ich noch sein –
du hast sonst niemanden
der es mit dir gut meint
glaub’ es mir –
Sonntag den vergange-
nen, hatte Gerti für ein
paar Heller ein Bouquet
erstanden, das sie durchaus
Ihren Papa [2] bringen wollte
Ich ließ mich herbei nach-
dem Peschka [3] die Fahrt zu theu-
er war, mitzufahren.
Hätte ich es nur nicht gethan
wir standen beide verstei-
nert am Grabe, sage sein
sollendem Grabe deines
armen Papa’s. Das ver-
wahrloseste ärmste Grab
birgt die Gebeine dei-
||
nes Vaters der für dich
Blut geschwitzt hätte –
Keine Blumen – Korn,
Disteln, Brenneßeln [!] – wu-
chern dort – unter diesem
Chaos liegt der Vorstand
von Tulln das ist eine
Schande – – wie viel Geld
wirfst du unütz [!] von dir
da wäre es am Platze
an dir ist es, dem Stammes-
halter, und einzigen Sohne
noch dazu Künstler etwas
zu thun. Ich soll als Witwe
gar nichts wissen davon
erspart mir um Gottes
Willen schon jede Aufre-
gung, an mir nackt [nagt] ohne-
hin genug Kummer
und Sorge – Gerti ist so
entsetzt daß sie lieber auf
die Kärntner Reise ver-
zichtet und für ihren Pa-
pa Blumen setzen lassen
will. Ich habe mir es auch
überlegt – der heurige
Sommer ist nicht danach
||
um in eine Sommerfrische
zu fahren, – und dann will
ich nicht soetwas erleben wie
im Vorjahre zu Bregenz wo
ich als Mutter weichen muß-
te mit bleibt Alles unver-
geßlich. Ich werde eventuell
mit Gerti auf einen Tag
nach Klagenfurt, aber nicht
im Hotel logi[e]ren, dazu
sind wir zu arm, und die
Nächte werden werden [!] wir
zur Hin und Herfahrt benüt-
zen, den reisen kostet
Geld das haben wir leider
nicht. Manche Menschen
haben es so schön werden
ganz erhalten und arbei-
ten nichts – und ich muß
mich so plagen und eine
Wohnung etc Alles selbst
bezahlen. Daß mein einzi-
ger Sohn einmal so sich
benimmt, hätte ich nie
für möglich gehalten
Für Alle und Alles hast
du Zeit, und Geld, nur
||
für deine arme Mama
nicht! – Gott verzeih es dir
ich kann es nicht. – Sie
haben doch einen Sohn
der so viel verdient
heißt es – ja der Sohn
könnte wenn er wollte,
aber Liebe läßt sich nicht
erzwingen. Wer än-
dert so deine Gesinnun-
gen die du vielleicht
hättest – Fluch dem jeni-
gen, und Mutterfluch
bleibt haften. merke
dir es! – ich weiß daß
ich einen schönen Brief
darauf bekommen werde,
bin es schon gewöhnt,
die sind aber auch alle
gut aufgehoben – Peschka
sagt mir oft wenn ich
so eine Mama hätte,
und soviel verdiene,
die würde ich gewiß
unterstützen – aber du,
du verschwendest es
||
an andere die es nicht
verdienen – – – – mir
wirfst du wie du soviel
Geld hattest 10 K hin – schänd-
lich! – O ich könnte etwas
thun wenn ich wollte
aber der Name „Schiele“
ist mir zu theuer.
Lebe wo[h]l und wirf wei-
ter dein Geld so hinaus
während ich darbe hun-
gere und mich zu Tode
gräme. – – – – – –
Mama
Annotations
[1] Gertrude Schiele (1894–1981).
[2] Adolf Schiele (1851–1905).
[3] Anton Peschka (1885–1940).
[2] Adolf Schiele (1851–1905).
[3] Anton Peschka (1885–1940).
Provenance
Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Verbleib unbekannt
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Recorded in
Leopold 1972, S. 13
Owner
Recipient
Mentioned person
Image credit
Leopold Museum, Vienna
Linked objects
(+-)
PURL: https://www.egonschiele.at/642