Typewritten letter from Arthur Roessler to Egon Schiele
Albertina, Vienna
ESDA ID
604
Nebehay 1979
494
Credit line
Albertina, Vienna, Inv. ESA 522
Place
Vienna
Date
10th May 1913 (handwritten)
Material/technique
Typewriter on paper
Dimensions
29,1 x 22,1 cm
Transcription
Samstag vor Pfingsten 1913. ½ 5 nachm.[ittags]
Lieber E. S. –
eben wollte ich die beiliegende Karte an Sie absenden, da wurde
mir Ihr von heute datierter Brief gebracht. Dieser Brief ist unecht, d. h. er
ist der Form und dem Inhalt nach nicht Ihr persönlicher Ausdruck. Er ist so
wenig „schieliesch“, dass man die Stimme des Soufleurs [!], der ihn einflüsterte,
aus den Worten erkennen zu können glaubt. Es wundert mich einigermassen, dass
Sie, nach dem wie wir bisher zueinander standen, so plötzlich eine Stellung
einnehmen, die mich befremden muss. – Ob Sie mir bei der Erwerbung von Bildern
und Blättern Ihrer Hand mehr „entgegengekommen“ sind als anderen, will ich un-
erörtert lassen, zumal Sie ja selbst betonen, dass Sie mir „Dank schuldig“ sind,
bemerken will ich nur, dass ich an „geschenkten“ Blättern von Ihnen nur drei
besitze, Bild gar keines, und dass ich für die übrigen Blätter und Bilder
nicht weniger bezahlte als irgend ein Ihnen ferne stehender fremder Mensch.
Das [!] ich mir im groben Sinn des Wortes von Ihnen nichts schenken liess, werden
Sie selbst zugeben und sich erinnern, dass ich stets eine Form der Revanche
fand. Was ich für Sie tat (Verkaufs- und Ausstellungs-Vermittlungen, die Ab-
machung mit Goltz [1] etc.), tat ich gern und aus rein ideellem Interesse an Ihn-
en als Künstler, ohne Hintergedanken kaufmännischer Art. Niemals versuchte ich
es, von Ihnen ein Bild unter Hinweis auf das von mir für Sie Getane besonders
„billig“ zu erwerben, stets nannten Sie den Betrag und ich bezahlte ihn, wenn
ich dazu in der Lage war oder ich verzichtete. Auch auf bereits rechtlich er-
worbene Bilder verzichtete ich zu Ihren Gunsten, wenn es sich ergab, dass ein
anderer mehr dafür zu bezahlen bereit und in der Lage war. Ich erinnere Sie
da nur an Dr. Reichel und Frau Mauthner. [2]
Die Tausch-Idee hatten Sie selber gefasst. Sie wollten mit Stursa [3] tausch-
en. Ich erkannte Ihr Verlangen als begründet und vermittelte. Sie wollten auch
die chinesische Decke eintauschen. Ich sprach meiner Frau [4] zu und sie willigte
ein. Sie hätte Ihnen die Decke, die einen respektablen Wert repräsentierte,
sicherlich gern geschenkt, wenn unsere Verhältnisse dies erlauben würden, da
dies nun leider nicht der Fall sein kann, verabredete sie mit Ihnen den Tausch
gegen ein Bild. Sie erklärten damals noch Ihre besondere Freude und den Willen
uns für den Verzicht auf die Landschaft [5], die im Hagenbund war [6] und jetzt
bei Mauthner ist, entschädigen zu wollen, da uns dieses Bild besonders lieb war.
Wir waren damit zufrieden und warteten geduldig. Seither haben Sie wiederholt
von Bildern gesprochen, die Sie uns für die Decke geben wollten, aber immer be-
nötigten Sie die betreffenden Bilder wieder zum Verkauf oder für Ausstellungen,
und jedesmal traten wir mit unserer Forderung bescheiden zurück in Ihrem In-
teresse. Nun hatten Sie neuerdings ein Bild vollendet, das uns gefällt, das
wir gerne besitzen würden, ich nannte es Ihnen, erklärte mich erbötig eine Men-
ge niedlicher und interessanter Dinge, von denen ich weiss, dass sie Ihnen ästh-
etisches Vergnügen bereiten, noch draufzugeben, und jetzt rücken Sie unvermut-
et mit einem „Vorschlag“ heraus, der unsere Abmachung negiert und so krämerhaft
geldsüchtig ist, dass ich den Zustand nur beklagen kann, aus dem er hervorging.
Es tut mir, der von allen Ihren Freunden immer am meisten darauf bestand, dass
Sie nicht verschwenden, dass Sie Ordnung in Ihren materiellen Verhältnissen
halten, ganz ungemein leid, Sie so weit von Ihrem eigentlichen Selbst und so
unfreundschaftlich beeinflusst zu sehen. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie
als Mensch – und noch dazu bei mir, der es ja auch bei Ihnen nie tat und tut, –
||
spekulativ werden und Vorteile suchen würden.
Es widerstrebt mir noch weiter über diesen Gegenstand zu schreiben, doch
möchte ich die „schwebende Angelegenheit“ zwischen uns ins Reine bringen, und
zwar sogleich. Ich ersuche Sie daher, da ich nur mit Ihnen allein, nicht aber
auch mit unterirdischen Ratgebern, die aus wer weiß für welchen Beweggründen
hinter den Coulissen stehend, Stichworte raunen, zu tun haben will, mich am
Dienstag nächster Woche zu besuchen. Ich hoffe, dass Sie sich in Erinnerung
an unser bisher ungetrübt freundschaftliches Verhältnis, nicht scheuen werden,
meiner Einladung Folge zu leisten. Wie werden die Angelegenheit der Decke einer-
seits, der 3 Blätter, die meine Frau unlängst mitnahm andererseits in aller Ruhe
und mit Anstand erledigen.
Wenn Sie bis zu unserem Wiedersehen zu sich selbst zurückgefunden haben
sollten, würde dies aufrichtig freuen
Ihren, Sie bestens grüssenden
A. R.-r.
Lieber E. S. –
eben wollte ich die beiliegende Karte an Sie absenden, da wurde
mir Ihr von heute datierter Brief gebracht. Dieser Brief ist unecht, d. h. er
ist der Form und dem Inhalt nach nicht Ihr persönlicher Ausdruck. Er ist so
wenig „schieliesch“, dass man die Stimme des Soufleurs [!], der ihn einflüsterte,
aus den Worten erkennen zu können glaubt. Es wundert mich einigermassen, dass
Sie, nach dem wie wir bisher zueinander standen, so plötzlich eine Stellung
einnehmen, die mich befremden muss. – Ob Sie mir bei der Erwerbung von Bildern
und Blättern Ihrer Hand mehr „entgegengekommen“ sind als anderen, will ich un-
erörtert lassen, zumal Sie ja selbst betonen, dass Sie mir „Dank schuldig“ sind,
bemerken will ich nur, dass ich an „geschenkten“ Blättern von Ihnen nur drei
besitze, Bild gar keines, und dass ich für die übrigen Blätter und Bilder
nicht weniger bezahlte als irgend ein Ihnen ferne stehender fremder Mensch.
Das [!] ich mir im groben Sinn des Wortes von Ihnen nichts schenken liess, werden
Sie selbst zugeben und sich erinnern, dass ich stets eine Form der Revanche
fand. Was ich für Sie tat (Verkaufs- und Ausstellungs-Vermittlungen, die Ab-
machung mit Goltz [1] etc.), tat ich gern und aus rein ideellem Interesse an Ihn-
en als Künstler, ohne Hintergedanken kaufmännischer Art. Niemals versuchte ich
es, von Ihnen ein Bild unter Hinweis auf das von mir für Sie Getane besonders
„billig“ zu erwerben, stets nannten Sie den Betrag und ich bezahlte ihn, wenn
ich dazu in der Lage war oder ich verzichtete. Auch auf bereits rechtlich er-
worbene Bilder verzichtete ich zu Ihren Gunsten, wenn es sich ergab, dass ein
anderer mehr dafür zu bezahlen bereit und in der Lage war. Ich erinnere Sie
da nur an Dr. Reichel und Frau Mauthner. [2]
Die Tausch-Idee hatten Sie selber gefasst. Sie wollten mit Stursa [3] tausch-
en. Ich erkannte Ihr Verlangen als begründet und vermittelte. Sie wollten auch
die chinesische Decke eintauschen. Ich sprach meiner Frau [4] zu und sie willigte
ein. Sie hätte Ihnen die Decke, die einen respektablen Wert repräsentierte,
sicherlich gern geschenkt, wenn unsere Verhältnisse dies erlauben würden, da
dies nun leider nicht der Fall sein kann, verabredete sie mit Ihnen den Tausch
gegen ein Bild. Sie erklärten damals noch Ihre besondere Freude und den Willen
uns für den Verzicht auf die Landschaft [5], die im Hagenbund war [6] und jetzt
bei Mauthner ist, entschädigen zu wollen, da uns dieses Bild besonders lieb war.
Wir waren damit zufrieden und warteten geduldig. Seither haben Sie wiederholt
von Bildern gesprochen, die Sie uns für die Decke geben wollten, aber immer be-
nötigten Sie die betreffenden Bilder wieder zum Verkauf oder für Ausstellungen,
und jedesmal traten wir mit unserer Forderung bescheiden zurück in Ihrem In-
teresse. Nun hatten Sie neuerdings ein Bild vollendet, das uns gefällt, das
wir gerne besitzen würden, ich nannte es Ihnen, erklärte mich erbötig eine Men-
ge niedlicher und interessanter Dinge, von denen ich weiss, dass sie Ihnen ästh-
etisches Vergnügen bereiten, noch draufzugeben, und jetzt rücken Sie unvermut-
et mit einem „Vorschlag“ heraus, der unsere Abmachung negiert und so krämerhaft
geldsüchtig ist, dass ich den Zustand nur beklagen kann, aus dem er hervorging.
Es tut mir, der von allen Ihren Freunden immer am meisten darauf bestand, dass
Sie nicht verschwenden, dass Sie Ordnung in Ihren materiellen Verhältnissen
halten, ganz ungemein leid, Sie so weit von Ihrem eigentlichen Selbst und so
unfreundschaftlich beeinflusst zu sehen. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie
als Mensch – und noch dazu bei mir, der es ja auch bei Ihnen nie tat und tut, –
||
spekulativ werden und Vorteile suchen würden.
Es widerstrebt mir noch weiter über diesen Gegenstand zu schreiben, doch
möchte ich die „schwebende Angelegenheit“ zwischen uns ins Reine bringen, und
zwar sogleich. Ich ersuche Sie daher, da ich nur mit Ihnen allein, nicht aber
auch mit unterirdischen Ratgebern, die aus wer weiß für welchen Beweggründen
hinter den Coulissen stehend, Stichworte raunen, zu tun haben will, mich am
Dienstag nächster Woche zu besuchen. Ich hoffe, dass Sie sich in Erinnerung
an unser bisher ungetrübt freundschaftliches Verhältnis, nicht scheuen werden,
meiner Einladung Folge zu leisten. Wie werden die Angelegenheit der Decke einer-
seits, der 3 Blätter, die meine Frau unlängst mitnahm andererseits in aller Ruhe
und mit Anstand erledigen.
Wenn Sie bis zu unserem Wiedersehen zu sich selbst zurückgefunden haben
sollten, würde dies aufrichtig freuen
Ihren, Sie bestens grüssenden
A. R.-r.
Annotations
[1] Hans Goltz, Kunsthändler (1873–1927).
[2] Oskar Reichel, Internist (1869–1943); Magda Mautner von Markhof (1881–1944).
[3] Jan Štursa (1880–1925).
[4] Ida Roessler (1877–1961).
[5] Herbstbaum in bewegter Luft (Winterbaum), 1912, K P239.
[6] Frühjahrsausstellung, Hagenbund, Wien, 23.03.–ca. 31.07.1912.
[2] Oskar Reichel, Internist (1869–1943); Magda Mautner von Markhof (1881–1944).
[3] Jan Štursa (1880–1925).
[4] Ida Roessler (1877–1961).
[5] Herbstbaum in bewegter Luft (Winterbaum), 1912, K P239.
[6] Frühjahrsausstellung, Hagenbund, Wien, 23.03.–ca. 31.07.1912.
Provenance
Max Wagner, Vienna
1954: Albertina, Vienna
1954: Albertina, Vienna
Owner
Author
Signee
Recipient
Mentioned institution
Image credit
Albertina, Vienna
Linked objects
(+-)
Exhibitions
(+-)
-
FrühjahrsausstellungHagenbund, Zedlitzhalle, Vienna, 23rd March–c. 31st July 1912
PURL: https://www.egonschiele.at/604