Letter from Heinrich Benesch to Egon Schiele
Leopold Museum, Vienna
ESDA ID
2902
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Credit line
Leopold Museum, Vienna, Inv. 7902
Place
Vienna
Date
9th Aug. 1917 (handwritten)
Material/technique
Ink on paper
Dimensions
17 x 10,9 cm (page)
Transcription
Wien, am 9. August 1917.
Lieber Herr Schiele!
Wenn Sie mich vierteilen –
ich kann nicht anders. Eben lese
ich im Abendblatte, daß ein fried-
liches Unterseeboot in der
Ostsee ein deutsches Schiff in
den schwedischen Hoheitsgewässern
versenkt hat. Wie soll ich mei-
nen spärlichen Kunstbesitz solchen
Gefahren aussetzen. Was nützt
mir die Versicherung; Geld
ist mir schnuppe, ich will meine
||
Kokoschkas [1] wiederhaben. So viel
bekäme ich ja doch nicht, daß ich
mir eine neue OK-Zeichnung
um 1000 Mark oder ein
Bild von ihm um 10000 Mark
bei Cassierer [2] kaufen könnte
und sonstere oder billiger
bekommt man so etwas nicht.
Also nochmals – um keinen Preis.
Vorgestern war Bildhauer und
Maler Dr. Ernst Wagner bei
mir im Bureau und wollte
mein O.K. Bild für Stockholm [3]
haben. Ich habe natürlich abgesagt.
Herr Wagner sagte uns, daß
sie die telegraphische Zustim-
||
mung Kokoschkas zur Ausstel-
lung seiner Werke in Stockholm
hätten. Wagner sagte mir aber
nicht, was ich am selben Tage
bei Dr. Reichel [4] erfuhr und was
Wagner von Dr. Reichel wußte:
Daß Kokoschka und Cassierer
Reichels Bilder für die Aus-
stellung in Zürich erbeten
haben, wo Kokoschka mit den
Deutschen ausstellt. Wie soll
ich das nun verstehen? Man
erzählt mir von Kokoschkas
Zustimmung zur Ausstellung
in Stockholm und gleichzeitig
verlangt Kokoschka selbst von
||
Reichel die Bilder für Zürich;
und beide Ausstellungen finden
doch ziemlich gleichzeitig statt.
Da hätte sich Dr. Wagner doch der
Mühe entziehen können,
das Telegramm zu sich zu
stecken und es den Besitzern der
Bilder vorzuweisen.
Sehen Sie, Dr. Reichel der viele
Kokoschkas hat und Geld genug,
um sich neue von Cassierer
zu kaufen, gibt nichts her und ich
soll es tun und meine spärlichen,
unersetzlichen Schätze riskieren.
Bitte, seien Sie mir nicht gram
und respektieren Sie meine
triftigen Gründe.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
Benesch
[Kuvert:]
Herrn
Maler Egon Schiele
in
Wien, XIII.
Hietzinger Hauptstraße 101
||
Absender: Heinrich Benesch
Wien, X/2 Ghegaplatz 4, II/62
Lieber Herr Schiele!
Wenn Sie mich vierteilen –
ich kann nicht anders. Eben lese
ich im Abendblatte, daß ein fried-
liches Unterseeboot in der
Ostsee ein deutsches Schiff in
den schwedischen Hoheitsgewässern
versenkt hat. Wie soll ich mei-
nen spärlichen Kunstbesitz solchen
Gefahren aussetzen. Was nützt
mir die Versicherung; Geld
ist mir schnuppe, ich will meine
||
Kokoschkas [1] wiederhaben. So viel
bekäme ich ja doch nicht, daß ich
mir eine neue OK-Zeichnung
um 1000 Mark oder ein
Bild von ihm um 10000 Mark
bei Cassierer [2] kaufen könnte
und sonstere oder billiger
bekommt man so etwas nicht.
Also nochmals – um keinen Preis.
Vorgestern war Bildhauer und
Maler Dr. Ernst Wagner bei
mir im Bureau und wollte
mein O.K. Bild für Stockholm [3]
haben. Ich habe natürlich abgesagt.
Herr Wagner sagte uns, daß
sie die telegraphische Zustim-
||
mung Kokoschkas zur Ausstel-
lung seiner Werke in Stockholm
hätten. Wagner sagte mir aber
nicht, was ich am selben Tage
bei Dr. Reichel [4] erfuhr und was
Wagner von Dr. Reichel wußte:
Daß Kokoschka und Cassierer
Reichels Bilder für die Aus-
stellung in Zürich erbeten
haben, wo Kokoschka mit den
Deutschen ausstellt. Wie soll
ich das nun verstehen? Man
erzählt mir von Kokoschkas
Zustimmung zur Ausstellung
in Stockholm und gleichzeitig
verlangt Kokoschka selbst von
||
Reichel die Bilder für Zürich;
und beide Ausstellungen finden
doch ziemlich gleichzeitig statt.
Da hätte sich Dr. Wagner doch der
Mühe entziehen können,
das Telegramm zu sich zu
stecken und es den Besitzern der
Bilder vorzuweisen.
Sehen Sie, Dr. Reichel der viele
Kokoschkas hat und Geld genug,
um sich neue von Cassierer
zu kaufen, gibt nichts her und ich
soll es tun und meine spärlichen,
unersetzlichen Schätze riskieren.
Bitte, seien Sie mir nicht gram
und respektieren Sie meine
triftigen Gründe.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
Benesch
[Kuvert:]
Herrn
Maler Egon Schiele
in
Wien, XIII.
Hietzinger Hauptstraße 101
||
Absender: Heinrich Benesch
Wien, X/2 Ghegaplatz 4, II/62
Annotations
[1] Oskar Kokoschka (1886–1980).
[2] Paul Cassirer, Kunsthändler (1871–1926).
[3] Österrikiska Konstutställningen, Liljevalchs Konsthall, September 1917.
[4] Oskar Reichel, Internist (1869–1943).
[2] Paul Cassirer, Kunsthändler (1871–1926).
[3] Österrikiska Konstutställningen, Liljevalchs Konsthall, September 1917.
[4] Oskar Reichel, Internist (1869–1943).
Provenance
Vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Owner
Author
Recipient
Mentioned person
Image credit
Leopold Museum, Vienna
Exhibitions
(+-)
-
Österrikiska KonstutställningenLiljevalchs Konsthall, Stockholm, September 1917
PURL: https://www.egonschiele.at/2902