Typewritten letter from Arthur Roessler to Fritz Hegenbarth
Wienbibliothek im Rathaus, Manuscript Collection. Photo: Leopold Museum, Vienna
ESDA ID
328
Nebehay 1979
200
Credit line
Wienbibliothek im Rathaus, Manuscript Collection, Inv. H.I.N. 149492
Place
Vienna
Date
8th April 1911 (handwritten)
Material/technique
Typewriter, black ink on paper
Dimensions
28,8 x 26,2 cm
Transcription
Lieber alter Freund Hegenbart,
von Ihnen endlich wieder ein Lebenszeichen
erhalten zu haben, freut mich sehr, und es freut mich auch, dass damit so
manche angenehme Nachricht verbunden ist. Ich dachte oft an Sie, wollte Sie
aber in Ruhe lassen, da Sie nicht selber schrieben, weil ich annahm, dass Sie
mit den Hallenbildern u. sonst noch auch innerlich sehr beschäftigt sind.
Nun sind also die Hallenbilder glücklich vollendet und in der Sezession! –
Bravo! Schade nur, dass ich die Bilder in der Ausstellung nicht sehen kann;
aber es ist mir gegenwärtig unmöglich von hier fortzufahren, so rasend viel
hab’ ich noch zu tun. In diesem Frühjahr gelangen nicht weniger als 4 Publi-
kationen von mir auf dem Büchermarkt, und zwar 2 von mir verfasste Monograf-
ien und 2 von mir herausgegebene Künstlerbücher. Sie werden staunen. Näheres
darüber mündlich, wenn Sie hier sind, worauf ich mich schon sehr freue u. mit
mir meine Frau. Ich werde im Mai bestimmt hier sein, wenn ich weiss, dass Sie
kommen – das ist doch selbstverständlich. Ich bin auch schon sehr begierig,
das neue Material zu sehen. Sehr recht ist es mir, dass Sie endlich aus Ihrer
Reserve heraustreten wollen, dass Sie die unangebrachte Vornehmheit des sich
zur Seitestellens aufgeben und dem Ministerium gegenüber Ihr Recht auf Staats-
hilfe geltend machen wollen; denn Sie haben in der Tat das Recht dazu, und da
Sie ein Kämpfer sind, dürfen Sie auch den möglichen Kampf auf diesem Gebiete
nicht scheuen. Es ist wirklich zwecklos, wenn Sie weiter das Aschenbrödel, wie
Sie sagen, sein wollten, denn Sie würden keinen Dank dafür erhalten, sondern nur
dazu beitragen minderwertigen Kunstpfuschern Geld zuzuschanzen. Was Sie nicht
nehmen, kriegen andere, die sich darum umtun, da finde ich es denn doch besser,
Sie kriegen das Geld, denn Sie vollbringen doch Kunst, sind ein Schöpfer. Auch
darüber reden wir.
Ich wäre Ihnen verbunden, wen Sie mir den illustr. Katalog der Sezession und
die Kritiken, die Sie bisher über Ihre Agramer Bilder bekamen, senden wollten;
mich interessiert ja begreiflicherweise alles was Sie und Ihre Arbeiten an-
geht auf das allerlebhafteste.
Mit den „Bildenden Künstlern“ hab’ ich mein Kreuz, d. h. [das heißt] mit dem Verleger [1] hab’
ich das Kreuz, denn der Mann hat kein feineres Verständnis für Kunst, hat keine
eigene Meinung u. ist leicht beeinflussbar. So lässt er sich von allen mögl. [möglichen]
u. unmöglichen Leuten dreinreden, sich irritieren, und dann winselt er mir die
Ohren voll. Jede neue Nr. kostet neue Rauferei, so dass mir die Sache schon zu-
wider ist. Man kann hier, sobald man auf andere Leute angewiesen ist, nichts
Gescheites anfangen. Ich mach’ halt das Blatt, so gut es geht, und da ich es
schon nicht so machen kann, wie ich es plante, schau ich darauf, dass es wenigstens
kein Kitsch wird. Von Schiele z.B., der wirklich ein interessanter Bursche ist,
hätte ich viel, viel bessere Arbeiten zeigen können, durfte aber nicht, weil der
Verleger, auf den man von allen möglichen Seiten einwirkt, sich nicht traute. [2]
Wie wütend ein Teil der Wiener, der künstlerischen Bagage, darüber war, dass ich
das erste Heft mit Ihnen eröffnete, davon machen Sie sich keinen Begriff. Aber
ich pfeif darauf u. sag’ mir: viele Feind, viel Ehr’! Die Jungen übrigens, die
schwören auf mich – und da die anderen, die mich hassen, aber auch fürchten, mir
nicht an den Leib, mir nicht schaden können, liegt mir nichts daran als Kritiker
hier allein zu stehen. Dass ich mir auch den Jungen gegenüber kein Blatt vor
den Mund nehme, sondern geradheraus sage, was ich meine, können Sie dem einen der
2 beiliegenden Artikel entnehmen. Er hat geradezu Furore in dem Drecknest da
gemacht, und die Nr. der A. Z. [Arbeiter Zeitung] die ihn enthält, wurde ausverkauft.
||
Schicken Sie mir die beiden Ausschnitte gelegentlich zurück.
Niederträchtig ist, was man im Künstlerhaus von den Malereien sieht, die der
Thronfolger für die neue Hofburg machen liess. Eichhorn, Koch [3] heissen die
Maler, von denen sich Franz Ferdinand, der auf dem Gebiete der Kunst den deut-
schen Kaiser zu übertrumpfen sucht, wie es scheint, grässliche Schwarten an-
fertigen liess. Es ist ein Jammer! Die kleine Schweiz lässt ihre Monumental-
gemälde von Hodler, [4] das grosse Kaiserreich Österreich lässt sie von einem
Eichkatzl machen! – Aber Egger-Lienz [5] ekelt man aus dem Lande – und Fritz
Hegenbart „tut“ man nicht kennen. Der Teufel soll da doch dreinfahren!
8.IV.1911
Herzlichste Grüße Ihnen u. Frau Else von
mir u. meiner Frau
Ihr A. R-r.
von Ihnen endlich wieder ein Lebenszeichen
erhalten zu haben, freut mich sehr, und es freut mich auch, dass damit so
manche angenehme Nachricht verbunden ist. Ich dachte oft an Sie, wollte Sie
aber in Ruhe lassen, da Sie nicht selber schrieben, weil ich annahm, dass Sie
mit den Hallenbildern u. sonst noch auch innerlich sehr beschäftigt sind.
Nun sind also die Hallenbilder glücklich vollendet und in der Sezession! –
Bravo! Schade nur, dass ich die Bilder in der Ausstellung nicht sehen kann;
aber es ist mir gegenwärtig unmöglich von hier fortzufahren, so rasend viel
hab’ ich noch zu tun. In diesem Frühjahr gelangen nicht weniger als 4 Publi-
kationen von mir auf dem Büchermarkt, und zwar 2 von mir verfasste Monograf-
ien und 2 von mir herausgegebene Künstlerbücher. Sie werden staunen. Näheres
darüber mündlich, wenn Sie hier sind, worauf ich mich schon sehr freue u. mit
mir meine Frau. Ich werde im Mai bestimmt hier sein, wenn ich weiss, dass Sie
kommen – das ist doch selbstverständlich. Ich bin auch schon sehr begierig,
das neue Material zu sehen. Sehr recht ist es mir, dass Sie endlich aus Ihrer
Reserve heraustreten wollen, dass Sie die unangebrachte Vornehmheit des sich
zur Seitestellens aufgeben und dem Ministerium gegenüber Ihr Recht auf Staats-
hilfe geltend machen wollen; denn Sie haben in der Tat das Recht dazu, und da
Sie ein Kämpfer sind, dürfen Sie auch den möglichen Kampf auf diesem Gebiete
nicht scheuen. Es ist wirklich zwecklos, wenn Sie weiter das Aschenbrödel, wie
Sie sagen, sein wollten, denn Sie würden keinen Dank dafür erhalten, sondern nur
dazu beitragen minderwertigen Kunstpfuschern Geld zuzuschanzen. Was Sie nicht
nehmen, kriegen andere, die sich darum umtun, da finde ich es denn doch besser,
Sie kriegen das Geld, denn Sie vollbringen doch Kunst, sind ein Schöpfer. Auch
darüber reden wir.
Ich wäre Ihnen verbunden, wen Sie mir den illustr. Katalog der Sezession und
die Kritiken, die Sie bisher über Ihre Agramer Bilder bekamen, senden wollten;
mich interessiert ja begreiflicherweise alles was Sie und Ihre Arbeiten an-
geht auf das allerlebhafteste.
Mit den „Bildenden Künstlern“ hab’ ich mein Kreuz, d. h. [das heißt] mit dem Verleger [1] hab’
ich das Kreuz, denn der Mann hat kein feineres Verständnis für Kunst, hat keine
eigene Meinung u. ist leicht beeinflussbar. So lässt er sich von allen mögl. [möglichen]
u. unmöglichen Leuten dreinreden, sich irritieren, und dann winselt er mir die
Ohren voll. Jede neue Nr. kostet neue Rauferei, so dass mir die Sache schon zu-
wider ist. Man kann hier, sobald man auf andere Leute angewiesen ist, nichts
Gescheites anfangen. Ich mach’ halt das Blatt, so gut es geht, und da ich es
schon nicht so machen kann, wie ich es plante, schau ich darauf, dass es wenigstens
kein Kitsch wird. Von Schiele z.B., der wirklich ein interessanter Bursche ist,
hätte ich viel, viel bessere Arbeiten zeigen können, durfte aber nicht, weil der
Verleger, auf den man von allen möglichen Seiten einwirkt, sich nicht traute. [2]
Wie wütend ein Teil der Wiener, der künstlerischen Bagage, darüber war, dass ich
das erste Heft mit Ihnen eröffnete, davon machen Sie sich keinen Begriff. Aber
ich pfeif darauf u. sag’ mir: viele Feind, viel Ehr’! Die Jungen übrigens, die
schwören auf mich – und da die anderen, die mich hassen, aber auch fürchten, mir
nicht an den Leib, mir nicht schaden können, liegt mir nichts daran als Kritiker
hier allein zu stehen. Dass ich mir auch den Jungen gegenüber kein Blatt vor
den Mund nehme, sondern geradheraus sage, was ich meine, können Sie dem einen der
2 beiliegenden Artikel entnehmen. Er hat geradezu Furore in dem Drecknest da
gemacht, und die Nr. der A. Z. [Arbeiter Zeitung] die ihn enthält, wurde ausverkauft.
||
Schicken Sie mir die beiden Ausschnitte gelegentlich zurück.
Niederträchtig ist, was man im Künstlerhaus von den Malereien sieht, die der
Thronfolger für die neue Hofburg machen liess. Eichhorn, Koch [3] heissen die
Maler, von denen sich Franz Ferdinand, der auf dem Gebiete der Kunst den deut-
schen Kaiser zu übertrumpfen sucht, wie es scheint, grässliche Schwarten an-
fertigen liess. Es ist ein Jammer! Die kleine Schweiz lässt ihre Monumental-
gemälde von Hodler, [4] das grosse Kaiserreich Österreich lässt sie von einem
Eichkatzl machen! – Aber Egger-Lienz [5] ekelt man aus dem Lande – und Fritz
Hegenbart „tut“ man nicht kennen. Der Teufel soll da doch dreinfahren!
8.IV.1911
Herzlichste Grüße Ihnen u. Frau Else von
mir u. meiner Frau
Ihr A. R-r.
Annotations
[1] Druckerei Brüder Rosenbaum; Sigmund Rosenbaum (1867–1945).
[2] Arthur Roessler: „Egon Schiele", in: Bildende Künstler. Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde, Bd. I, Heft 3, Wien 1911, S. 104–121.
[3] Leo Bernhard Eichhorn (1872–1956); Ludwig Koch (1866–1934).
[4] Ferdinand Hodler (1853–1918).
[5] Albin Egger-Lienz (1868–1926).
[2] Arthur Roessler: „Egon Schiele", in: Bildende Künstler. Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde, Bd. I, Heft 3, Wien 1911, S. 104–121.
[3] Leo Bernhard Eichhorn (1872–1956); Ludwig Koch (1866–1934).
[4] Ferdinand Hodler (1853–1918).
[5] Albin Egger-Lienz (1868–1926).
Provenance
Nachlass Arthur Roessler
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
1956, 1963, 1969:
Wienbibliothek im Rathaus
Author
Recipient
Mentioned person
Mentioned institution
Image credit
Wienbibliothek im Rathaus, Manuscript Collection. Photo: Leopold Museum, Vienna
Bibliography
(+-)
-
Roessler 1911Arthur Roessler: “Egon Schiele”, in: Bildende Künstler. Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde, vol. I, no. 3, Vienna 1911, pp. 104–121
PURL: https://www.egonschiele.at/328