Letter from Egon Schiele to Carl Reininghaus
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Letter from Egon Schiele to Carl Reininghaus Bild 3
Leopold Museum, Vienna
ESDA ID
55
Nebehay 1979
456
Credit line
Leopold Museum, Vienna, Inv. 7563
Date
13th Feb. 1913 (handwritten)
Material/technique
Black ink, red colored pencil on paper
Dimensions
17,5 x 13,5 cm
Transcription
13. Februar 1913.

Lieber Herr Karl Reininghaus! ich bin nicht erstaunt über Ihren Brief [1],
weil Ihnen jemand [2] vor einigen Tagen schrieb und Sie Sich [!]
über mich informierten. – Das muß ein böser, lügenhafter Mensch
sein, der die Welt ansieht mit blinden Augen. – Jemand
schrieb in der Wiener Zeit so Ähnliches, [3] wie derjenige über mich
gesagt haben könnte, – wie leblos! – Im Dezember 1909 mußte
ich ihm alles sichtbar machen, von dem er nichts sah; ich hoffte
einen Lebenden gefunden zu haben, aber er erwies sich jetzt
im Februar als einer der vegetiert in einem Bau von Büchern.
– Herr Karl Reininghaus ich glaubte nicht von Ihnen, daß Sie
auf Aussagen anderer und selbst wenn es bedeutende
Männer wären, eine andere Meinung bekommen
würden. Der bedeutende Mann und der große Künstler
gelten für mich nicht so viel, wie der reine, erhabene,
veredelte Mensch. (Christus). – ich bin durch Liebe herein-
gekommen, ich lebe mit Liebe für alle Stufen meiner
Mitlebenden und will aus Liebe von hier gehen. –
Ich weiß, daß unter tausend einer ist, welcher mit Liebe zu
den Menschen, Tieren, Pflanzen & Dingen lebt; daß
unter tausend einer ist, der den Organismus von allen
Dingen erkennt, der in dem Seelenleben von Pflanzen
und in deren Antlitz den lebendigen Hauch ihres Gesichtes
sieht. – Anfangs begnügte ich mich mit der erreichten
monumentalen Linie, und mit dem entstandenen
Körperornament. – Die Bilder die jetzt in der Sezession
ausgestellt sind, [4] habe ich nur eingesandt, weil mich
die Leute eingeladen haben. Ich wurde aber zum
Mitglied des österr.[eichischen] Künstlerbundes ernannt, welcher jetzt
die erste Ausstellung von erwählten in Budapest [5]
veranstaltet, dorthin ist ersteres gegangen. u.s.w.
– Daß Sie mir so schreiben halte ich unbedingt für
unbegründet, ich bin heute 22 Jahre alt, das was ich
||
arbeiten will, hab ich bis jetzt nicht können, nur
manchmal konnte ich mich von Erlebnissen erholen.
– Niemand von allen Menschen hat mir noch Freude
bereitet, jeder hat gegen mich etwas wenn nicht
viel; ich verfolge bei denen die ich schätze den Grund
und finde aber nichts von Bedeutung. – Daß Sie
mir gegenüber so weit stehen kränkt mich wahrlich
und daß Sie noch nicht in mir den Menschen gefunden
haben ist begreiflich, weil Sie so lange nicht
mit mir verkehrt haben, ich wurde mißtrauisch,
warum? daß ich wahr bin besage ich nur deshalb
weil ich mich deshalb opfere und ein märtyrer-
ähnliches Leben führen muß. – Ich werde auf jeden
Fall wahr bleiben, und wenn es selbst die teuersten
Schätze wären die dahingehen: ich haße darum
die Geschäftsleute; immerwährend stoße ich an
diese Lügner! – Wer aber über mich schlecht spricht,
das ist entweder ein neidiger Maler, oder ein Kritiker
der Kunstgeschichte lebenslang studiert, oder ein
Uniformierter. – Ich erlebte unsagbar bittere
Tage, ich lernte alle hoch- und tiefstehenden Menschen
kennen, ihre Leidenschaften, ihre Schwächen und
Neigungen, ihren Lebenswandel, edle und
rohe Taten, empfundene und unbemerkte. –
Es sind einige die mit mir gehen, die fest entschlossen
alles Neue zu verfolgen, unbemerkt der Ein-
sprachen anderer, – sie glauben! – Bitte
mir aber doch nicht den Menschen abzusprechen,
versuchen Sie doch Ihren Willen, – zu glauben!
Ich werde Sie immer sehr schätzen, Ihren edlen
||
Menschen. – Lassen Sie Sich [!] doch nicht beeinflussen.
– Wenn Sie ihr [!] Herz fragen, ob Sie mir recht
getan haben, so glaube ich daß Sie anders
über mich denken müssen. Welcher Doktor, Professor,
oder Rat es immer gewesen ist, soll aber
ausgeschaltet bleiben; ich möchte denjenigen durch-
schaun können, was von ihm zurückbleibt? –
Die Titel des Staates? – Überzeugen Sie Sich [!]
selbst, ich bitte Sie, sagen Sie mir die Wahrheit!
Kommen Sie zu mir oder wenn Sie wollen
ich zu Ihnen. Von Herzen grüße ich Sie!

Egon Schiele.
Wien XIII
Hietzinger-Hauptstr.[aße] 101.
Annotations
[1] ESDA ID 565.
[2] Nicht identifiziert.
[3] Josef Strzygowski: „Secession“, in: Die Zeit, 01.02.1913, S. 1–2.
[4] XLIII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession, Wien, 22.01.–26.02.1913. Ausgestellt waren die Gemälde: Herbstbäume, 1911, K P218; Kahle Bäume, 1912, K P242.
[5] Bund österreichischer Künstler és Gustav Klimt. Gyűjteményes Kiállítása, Művészház, Budapest, 08.03.–06.04.1913.
Provenance
1964: Privatbesitz, Wien (Ankauf Marlborough Galerie, London, 10./11.1964)
vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)

Provenienz lt. Nebehay 1979:
Verbleib unbekannt, als Quelle wird Albertina Stud. 1964, S. 171 angegeben.
Recorded in
Koschatzky/Alb. Stud. 1964, S. 171
Mentioned person
Image credit
Leopold Museum, Vienna

Linked objects

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Exhibitions

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  • XLIII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession
    Vienna Secession, Vienna, 22nd Jan.–26th Feb. 1913

Bibliography

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  • Strzygowski 1913
    Josef Strzygowski: “Feuilleton. Sezession”, in: Die Zeit, 1st Feb. 1913, pp. 1–2
PURL: https://www.egonschiele.at/55