Draft for a letter from Egon Schiele to Wilhelm John
Albertina, Vienna
ESDA ID
1799
Nebehay 1979
1732
Credit line
Albertina, Vienna, Inv. ESA 123 a, 123 b
Place
Vienna
Date
2nd Oct. 1918 (handwritten)
Material/technique
Pencil, purple ink on paper
Dimensions
20,2 x 16,5 cm (sheet)
Transcription
Mittwoch 2.X.18
Sehr [durchgestr.: gee] verehrter Herr Ober Ingenieur Dr. John, – nach
persönlicher Rücksprache mit Ihnen erlaubte ich mir [durchgestr.: Ihnen] meinen
Schwager den Maler Leutnant Anton Peschka zu senden der
einige Zeichnungen seiner Hand zeigen wollte – vielleicht
ist das Eine oder Andere darunter welches Sie interessieren
kann.
Die Hauptsache meines Schreibens ist aber eine andere und
glaube ich daß Sie als idealer Förderer der Kunst
mich entschuldigen wenn ich nicht persönlich dieses melde,
weil ich mir in Form des E. F. Korpl. [Einjährig-Freiwilligen Korporal], E. Sch. [Egon Schiele] nicht anmaßen
kann mit all dem was ich besser in Form des Künstlers
an Sie schreibe.
Ich bekam gestern den beiliegenden offenen Zettel womit mir
mitgeteilt wird zu einer neuerlichen Sichtung zu erscheinen.
Dem gegenüber ich mitteilen muß daß ich bereits am
10. September 1918 mit der gesamten Mannschaft des
Heeresmuseums einer Sichtungskommission vorgestellt
wurde und ich nicht einsehe wieso es kommt daß ich
nach noch nicht einem Monat abermals gesichtet werden
soll. – Es muß dies ein Irrtum sein und weiß ich,
von mir befreundeten Offizieren daß ich im Laufe
eines Jahres nicht öfters als einmal einer Sichtungskommission
vorgestellt werden [durchgestr.: darf] brauche.
Es ist so ohne gleichen deprimierend wenn [durchgestr.: wenn] ich
als Künstler von allen Seiten erhoben und mir die
Verantwortung und Entscheidung für die jetzt wichtigsten künstlerischen
||
Fragen in Österreich anvertraut werden und ich auf der anderen
Seite wegen Irrtümern anderer kurzerhand und nach
wenigen Wochen [durchgestr.: vor eine] wieder vor eine Kommission gestellt
werden soll deren Laune die Existenz einer, – wie man mir
sagt –, schöpferischen Kraft auf das Stärkste hemmen und jede neue
freie geistig-künstlerische Entfaltung damit immer wieder aus-
gewischt wird. – Die Richtstelle kommt mir vor.
Es ist begreiflich [durchgestr.: mit welcher] daß dieses Gefühl der Abhängigkeit
mich [durchgestr.: drückt] ungeheuer drückt und ich unter solchen [durchgestr.: Umständen]
dauernden Umständen nicht das Entzücken vor der Kunst, für
die ich alles zu tun imstande bin, finden kann und daher
aus diesen Gründen mich zu neuen Werken nicht zwingen
will. Abgesehen davon daß ich heute eine begründet andere Rolle für den Staat spiele[durchgestr.: n soll] und [durchgestr.: ich energisch doch unoffiziell] daher eine andere Wertein-
schätzung meiner Person erhoffe.
Schon die Barackenluft allein mit ihren Kanzleien und Ein-
wohnern allein ist setzt mich in Entsetzen und macht
mich wahnsinnig nachher unfähig auch nur das Geringste schaffen
zu können.
Deswegen verzichte ich gerne auf sämtliche [durchgestr.: Gebüh] milit. [militärischen] Gebühren [durchgestr.: verzichten] um nur nicht mit dieser Art [durchgestr.: Menschen] Gegenpol-
menschen [durchgestr.: zu] in Fühlung zu kommen.
Gegenwärtig arbeite ich an der Zusammenstellung der
Ausstellung in Wiesbaden für dessen künstlerischen Inhalt ich
verantwortlich bin und mich von [durchgestr.: aben] morgens bis abends
beschäftigt, gleichzeitig [durchgestr.: auch] wird auch in der Sezession eine
||
Porträtausstellung gemacht deren Zusammenstellung auch [durchgestr.: ich machen soll] mir überlassen
wurde und an dem Zustandekommen unserer neuen
Künstlervereinigung die seit einem ¾ Jahr ununterbrochen
zu tun gibt und ich hauptsächlich die Anbahnung und Zusammen-
arbeit mit dem Hagenbund anstrebe.
Heute wollte ich ein Bild vollenden
zu dem ein Herz gehört und ward
mir durch diese Mitteilung jede
Lust genommen.
Neben meinen weiteren Verpflichtungen
1. das Bild für das Heeresmuseum
2. [durchgestr.: die] 14 Porträts die ich zu malen übernommen habe
3. die Arbeiten mit Prof. Hanslik
4. für das Burgtheater Dekorationen zu
entwerfen, werde ich unaufhörlich ersucht
5. Der „Morgen“ will eine neue Zeitschrift
herausgeben und mich als Mitarbeiter haben,
eine Reihe von Ausstellungen im Reich [durchgestr.: sind projek] und
neutralen Ausland sind projektiert
[durchgestr.: bleibt] erscheint mir der kleine schmierige Zettel wie eine böse
Ironie.
Ich leide schwer – das Gute braucht nicht Gewalt.
Bitte Sie um Aufklärung [durchgestr.: und] um Weisung und Vergebung.
Mit vorzüglichster Hochachtung Ihr dankbar ergebener.
Sehr [durchgestr.: gee] verehrter Herr Ober Ingenieur Dr. John, – nach
persönlicher Rücksprache mit Ihnen erlaubte ich mir [durchgestr.: Ihnen] meinen
Schwager den Maler Leutnant Anton Peschka zu senden der
einige Zeichnungen seiner Hand zeigen wollte – vielleicht
ist das Eine oder Andere darunter welches Sie interessieren
kann.
Die Hauptsache meines Schreibens ist aber eine andere und
glaube ich daß Sie als idealer Förderer der Kunst
mich entschuldigen wenn ich nicht persönlich dieses melde,
weil ich mir in Form des E. F. Korpl. [Einjährig-Freiwilligen Korporal], E. Sch. [Egon Schiele] nicht anmaßen
kann mit all dem was ich besser in Form des Künstlers
an Sie schreibe.
Ich bekam gestern den beiliegenden offenen Zettel womit mir
mitgeteilt wird zu einer neuerlichen Sichtung zu erscheinen.
Dem gegenüber ich mitteilen muß daß ich bereits am
10. September 1918 mit der gesamten Mannschaft des
Heeresmuseums einer Sichtungskommission vorgestellt
wurde und ich nicht einsehe wieso es kommt daß ich
nach noch nicht einem Monat abermals gesichtet werden
soll. – Es muß dies ein Irrtum sein und weiß ich,
von mir befreundeten Offizieren daß ich im Laufe
eines Jahres nicht öfters als einmal einer Sichtungskommission
vorgestellt werden [durchgestr.: darf] brauche.
Es ist so ohne gleichen deprimierend wenn [durchgestr.: wenn] ich
als Künstler von allen Seiten erhoben und mir die
Verantwortung und Entscheidung für die jetzt wichtigsten künstlerischen
||
Fragen in Österreich anvertraut werden und ich auf der anderen
Seite wegen Irrtümern anderer kurzerhand und nach
wenigen Wochen [durchgestr.: vor eine] wieder vor eine Kommission gestellt
werden soll deren Laune die Existenz einer, – wie man mir
sagt –, schöpferischen Kraft auf das Stärkste hemmen und jede neue
freie geistig-künstlerische Entfaltung damit immer wieder aus-
gewischt wird. – Die Richtstelle kommt mir vor.
Es ist begreiflich [durchgestr.: mit welcher] daß dieses Gefühl der Abhängigkeit
mich [durchgestr.: drückt] ungeheuer drückt und ich unter solchen [durchgestr.: Umständen]
dauernden Umständen nicht das Entzücken vor der Kunst, für
die ich alles zu tun imstande bin, finden kann und daher
aus diesen Gründen mich zu neuen Werken nicht zwingen
will. Abgesehen davon daß ich heute eine begründet andere Rolle für den Staat spiele[durchgestr.: n soll] und [durchgestr.: ich energisch doch unoffiziell] daher eine andere Wertein-
schätzung meiner Person erhoffe.
Schon die Barackenluft allein mit ihren Kanzleien und Ein-
wohnern allein ist setzt mich in Entsetzen und macht
mich wahnsinnig nachher unfähig auch nur das Geringste schaffen
zu können.
Deswegen verzichte ich gerne auf sämtliche [durchgestr.: Gebüh] milit. [militärischen] Gebühren [durchgestr.: verzichten] um nur nicht mit dieser Art [durchgestr.: Menschen] Gegenpol-
menschen [durchgestr.: zu] in Fühlung zu kommen.
Gegenwärtig arbeite ich an der Zusammenstellung der
Ausstellung in Wiesbaden für dessen künstlerischen Inhalt ich
verantwortlich bin und mich von [durchgestr.: aben] morgens bis abends
beschäftigt, gleichzeitig [durchgestr.: auch] wird auch in der Sezession eine
||
Porträtausstellung gemacht deren Zusammenstellung auch [durchgestr.: ich machen soll] mir überlassen
wurde und an dem Zustandekommen unserer neuen
Künstlervereinigung die seit einem ¾ Jahr ununterbrochen
zu tun gibt und ich hauptsächlich die Anbahnung und Zusammen-
arbeit mit dem Hagenbund anstrebe.
Heute wollte ich ein Bild vollenden
zu dem ein Herz gehört und ward
mir durch diese Mitteilung jede
Lust genommen.
Neben meinen weiteren Verpflichtungen
1. das Bild für das Heeresmuseum
2. [durchgestr.: die] 14 Porträts die ich zu malen übernommen habe
3. die Arbeiten mit Prof. Hanslik
4. für das Burgtheater Dekorationen zu
entwerfen, werde ich unaufhörlich ersucht
5. Der „Morgen“ will eine neue Zeitschrift
herausgeben und mich als Mitarbeiter haben,
eine Reihe von Ausstellungen im Reich [durchgestr.: sind projek] und
neutralen Ausland sind projektiert
[durchgestr.: bleibt] erscheint mir der kleine schmierige Zettel wie eine böse
Ironie.
Ich leide schwer – das Gute braucht nicht Gewalt.
Bitte Sie um Aufklärung [durchgestr.: und] um Weisung und Vergebung.
Mit vorzüglichster Hochachtung Ihr dankbar ergebener.
Recorded in
Roessler 1921, S. 181-183
Owner
Author
Signee
Mentioned person
Image credit
Albertina, Vienna
Linked objects
(+-)
Exhibitions
(+-)
-
Exhibition of works by Austrian artists [title unknown, not implemented]Nassauischer Kunstverein Wiesbaden, Wiesbaden, planned from October 1918
-
LII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs SecessionVienna Secession, Vienna, 11th Dec. 1918 – January 1919
PURL: https://www.egonschiele.at/1799