Seligmann 1912
Adalbert Franz Seligmann: “Feuilleton. Kunstausstellungen. ‘Hagenbund’”, in: Neue Freie Presse, 13th April 1912, pp. 1–3
Die diesjährige Frühjahrsausstellung des „Hagenbund“ erhält ihr Cachet nicht so sehr durch die Arbeiten der Mitglieder (obwohl unter diesen namentlich der geistreiche Laske, dann Hugo Baar, Groß, Barth, Obrovsky, Ullmann, Simon, natürlich auch Barwig und noch mancher andere Treffliches gebracht haben), als vielmehr durch eine Anzahl extrem-moderner Malereien, die uns über die neuesten Bestrebungen zu unterrichten geeignet sind. Wenn ich „extrem-modern“ sage und von „neuesten“ Bestrebungen spreche, so ist das natürlich relativ zu nehmen; was wir hier sehen, ist durch den „Kubismus“ und den „Futurismus“ anderwärts schon wieder überholt worden; und auch diesen droht ja in Bälde das gleiche Schicksal: „Les Futuristes seront les classiques de demain“, sagte ein witziger Franzose unlängst. „Quoi qu’on fasse, on est toujours le pompier de quelqu’un!“ Immerhin ist, was wir hier finden, für unsere Bedürfnisse modern genug. Zum Beispiel die grausig-phantastischen Karikaturen von E. Schiele, gespensterhaste Lemuren mit blutigen Spinnenfingern, verstümmelte, halbverweste Leichen, wie in einem Zerrspiegel aufgefangen; auch die Malerei scheint aus tausendjährigen Gräbern hervorgeholt: vom Alter geschwärzte oder verblichene Farben auf halbzerstörten Mauerwänden oder verknittertem und vergilbtem Pergament, dann wieder wie Einlegearbeit aus Bernstein, Lapislazuli, Chrysopras und anderen kostbaren Steinen, urzeitlich anmutend und schon ein wenig aus den Fugen gegangen. In diesen grotesken Darstellungen äußert sich jedoch eine raffinierte, spielerische Virtuosität im Zeichnen, ein ausgesprochen aparter Geschmack für Farbe und ein starkes Gefühl für den Reiz des Vortrages. Daneben finden wir ganz wilde Klecksereien in der Art allerrohester impressionistischer Skizzen, bei welch letzteren diese Technik allerdings durch die Haft erklärlich wird, mit der etwa eine nur wenige Minuten dauernde Licht- und Luftstimmung festgehalten werden mußte, indes hier gar keine illusionistische Wirkung beabsichtigt wurde; aber auch in den meisten dieser etwas protzenhaft anarchistisch tuenden Produkte (von Faistauer und Kolig zum Beispiel) lassen sich deutliche Spuren zeichnerischer Fähigkeiten entdecken und das Bestreben, die organischen Zusammenhänge der Formen wiederzugeben. Ganz anders mutet dann eine Serie von Malereien Merkels an, aufdringlich dilettantisch, an Marterln, wie man sie in Gebirgsgegenden trifft, an Wirtshausschilder in kleinen Provinzstädten oder Votivbilder in Bauernkirchen erinnernd. Dieser schreiende Dilettantismus ist aber ein künstlicher, denn aus einigen früheren Studien dieses Malers spricht ein wenn auch nicht viel mehr als mittelmäßiges zeichnerisches und malerisches Können. […]
Exhibitions
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FrühjahrsausstellungHagenbund, Zedlitzhalle, Vienna, 23rd March–c. 31st July 1912