Strzygowski 1913
Josef Strzygowski: “Feuilleton. Sezession”, in: Die Zeit, 1st Feb. 1913, pp. 1–2
Die Jungmannschaft, die in den Räumen der Sezession deren 43. Ausstellung veranstaltet hat, zeigt im Durchschnitt ein Streben, das aller Achtung wert ist. Auch wer ermüdet von dem temperamentlosen Einerlei der Wiener Kunstausstellungen in diese Räume gerät und geneigt ist, von vornherein gelangweilt abzuurteilen, wird doch gefesselt durch die Redlichkeit der Bemühungen und die da und dort aufleuchtenden Spuren von Talent.
Die Ausstellung fordert dadurch, daß diesmal das Porträt auffallend stark vertreten ist, zum Vergleich mit dem großen offiziellen Kunstmarkt heraus. Der Kontrast ist bezeichnend: im Künstlerhaus ausgesprochenes Raffinement, hier schlichteste Einfachheit, kaum daß einmal das Gleißen der Farben hinwegtäuscht über den Mangel an Charakter. Dafür sind hier in der Sezession gerade die Porträts interessant durch die psychologische Fassung des künstlerischen Problems, und was besonders auffällt, es werden auch einige Damen zu nennen sein, denen der Griff überzeugend gelungen ist. Den Typus des jeder „Schönheit“ grundsätzlich aus dem Wege gehenden Bildnismalers verkörpert am entschiedensten Leopold Gottlieb, dessen Herrenbildnis (Nr. 126) verdammt nahe an eine glänzende Detailcharakteristik aus der Biologie des Schmock herankommt. Die beiden Familienbilder von Leonhard Schuller sind reich an Qualität und vielversprechend. Der gestrenge Papa (Nr. 109) kann mit seinem Sohn zufrieden sein. Lili Schüller erzielt bei aller derben Technik einen momentanen Ausdruck, der den Beschauer beobachtend festhält. Diesen Dreien gegenüber erscheinen die Bildnisstudien von Wilhelm Thöny gesucht, so anziehend sie im einzelnen Fall auch sein mögen. Elsa Schwarz liefert eine selten starke Illusion der unmittelbaren Nähe, andere Damen halten sich an das Programm der Primitiven. Seltsam ist der Jenesier Bauer von Friedrich v. Radler. Eine Reihe prächtiger Blumenstücke bereitet darauf vor. Dann kommt der Bauer, in den Farben wie ein Bukett gebunden. Das führt zu den Modepuppen des Künstlerhauses.
Auf dem Gebiete der Landschaft bietet die Ausstellung manches Erfreuliche. Vor allem wetteifern Hans und Leo Frank um den Preis. Leos Bilder leuchten in den Farben aus einer inneren Stimmung heraus. Man vergleiche sie mit den Studien von Julius Wegerer. Der Ausdruck ist verwandt, aber das Ausdrucks mittel bei letzterem ein anderes, eintönige Farben in stimmungsvollem Ton. Hans Frank greift entschiedener zu, unter seinen Tierstudien in farbigem Holzschnitt findet sich ganz Vorzügliches. Wo er reale Wahrheit gibt, da bringt Norbertine Roth noch einen feinen Ein schlag von Märchenhaftem hinzu, so daß bei ihr zusammen mit der Guaschtechnik eine seltsame Wirkung entsteht. Im übrigen kommt Dachau zur Geltung in den Bildern von Grete Wolf u. a., andere bringen Motive aus der Umgebung Wiens, wie Max Kahrer, oder holen sie von weit her, wie Heinrich Gollob. Einzelne Persönlichkeiten erwecken noch besonderes Interesse: Josef Kellner, der in etwas unruhiger Art massige Wolken schiebt; Baronin Lenore Bach, die sich berauscht an dem saftigen Grün, das zwischen Sonne und Schatten spielt, und Stanislaus Galek, der die Jahreszeiten in Blüte und Sturm an uns vorüberziehen läßt. Man wird schon beim Lesen des Berichtes über die beiden dominierenden Gruppen empfinden, daß da bei den Jungen der Sezession mehr ursprüngliche Frische, ein größerer Reichtum der Beobachtung und Gestaltung vorliegt als in den wohlakkreditierten und reich mit allerhand Prämiensegen ausgestatteten Kreisen, die als die privilegierten Vertreter der bildenden Kunst in Wien austreten. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man den Verantwortlichen Stellen neuerdings predigen wollte, die Mittel doch lieber an die ringenden Jungen zu wenden, es werde dabei für Oesterreich mehr heraus kommen, als wenn die Gelder immer wieder der gleichen Clique zufließen. Unter den jungen Leuten der Sezession ist gewiß eine ganze Anzahl, die sich mühselig in den einfachsten Lebenssorgen über Bord hält. Und wie ringen sie rein ohne die materiellen Nebenabsichten der Privilegierten um die edelsten Ziele der Kunst!
Ein Zweites, das sich auf dieser Ausstellung der Sezession aufdrängt, ist, daß in diesem Rin gen die Frau nicht etwa als geduldet oder schwächer austritt, sondern neben dem Manne als durchaus ebenbürtige Mitstrebende erscheint. In dieser klaren Tatsächlichkeit ist der Eindruck noch auf keiner Wiener Kunstausstellung zutage getreten. Solch ehrliches Dulden und vorurteilsfreies Geltenlassen fällt um so mehr auf, als die Damen im Arbeitsausschuß der Ausstellung nur durch Grete Wolf im Plakat, nicht aber in der Jury vertreten sind. Es wäre zu wünschen, daß sich der Kamps der arbeitenden Frau um die Gleichberechtigung mit dem Manne überall in dieser mustergültigen, auf Anerkennung der tüchtigen Leistung begründeten Form abspielte. Die Sezession ist darin mit gutem Beispiel vorangegangen. Das immer etwas peinliche Auftreten der Frauen in gesonderten Gruppen ist dadurch überflüssig gemacht. Die Frauen neigen dazu, sich persönlich zwischen den Beschauer und ihr Werk zu stellen; davon ist in der Sezession, Gott sei Dank, nichts zu merken. Die Werke sprechen für sich, die Künstler, ob Männlein oder Weitstem, bleiben aus dem Spiel.
Neben Porträt und Landschaft kommen aus der Ausstellung noch andere Gruppen stark zur Geltung, die man sonst heute gern beiseite schiebt: Bilder, die nicht so sehr durch die der Natur abgelauschten Motive oder durch Lösungen auf dem Gebiete von Form und Farbe wirken. sondern in erster Linie vom Beschauer Verständnis für ihre gegenständlichen oder seelischen Werte verlangen. Züge dieser Art machten sich schon in Porträt und Landschaft geltend. Es sind andere Maler da, die kalt lassen, so lange sie rein nach einer bestimmten Manier vor der Natur schaffen. Dahin gehört zum Beispiel F. A. Harta. Er fesselt sofort, wo er in seine Malerei einen sittenbildlichen Zug einfließen läßt. So seine „Volksszene“ in Brügge. Was ist das für eine köstliche Kleinstadtironie, wie die ungeschlachten Spießbürger sich fassungslos um das Welt wunder einer toten Katze versammeln! Oder aus dem gleichen Milieu heraus das bretonische Ehepaar von Stephi Gartenberg. Der „Zazer Florian“ von Rudolf Hirschenhauser ist ein kleines Kabinettstück, und das dicke Schwein auf buntem Pfühl von Rudolf Kriser ebenfalls eine ganz respektable Leistung. Ob es nicht vernünftiger ist, solche harmlose Stücke zuzulassen, als auf die Dauer die widerlichen Zoten von Egon Schiele zu dulden? Auch was dieser einst so vielversprechende Führer der Jungen aus dem Gebiete der Landschaft leistet, ist allmählich nichts als Manier. Schade um das große Talent, Las hier zugrunde geht.
Eine Grupps von Symbolikern prägt sich dem Gedächtnis ein. Da ist zunächst Erich von Lamm mit seiner Vision „Aschermittwoch“, den „Herbstwolken“, einem Bilde, in dem das brennende Haus die düstere Stimmung verstärkt, und dem „Jungen Mädchen“, worin bei aller Feinheit der Tonwerte doch die Scheu im Ausdruck des Gesichtes den entscheidenden Wert bedeutet. Eduard Stella zeigt in seinem „Adonis moribundus“ ein Suchen nach Wirkungen, wie sie Hodler oder Signorelli auslösen, dazu noch einen Einschlag von Sascha Schneider, also von allem etwas. Dagegen berührt durchaus originell M. Jakimowicz aus Jaslo mit seinen Tuscharbeiten, die grau in grau Phantasien bieten, an denen über des Gedankens Blässe hinaus das starke Gewächs der menschlichen Gestalten fesselt. „Christus“, ein seltsam umrissener Heller Fleck, dadurch entstanden, daß der Erlöser die Hände mit den Wundmalen über dem Haupte ausbreitet. In der „Muse“ die Formkraft eines Feuerbach: es wäre schade, wenn diese Begabung ohne die nötige Pflege bliebe.
Auch in der Gruppe der graphischen Arbeiten und Handzeichnungen fällt manches Gute auf. Grotesken, wie die Algraphien „Die sieben Lasterteufel“ von K. F. Bell, stehen da neben vorzüglichen Akten, wie denen von Alfeo Argentieri. Unter den Plastiken fällt der weibliche Kopf in Wachs von M. M. Lust auf, in der Wirkung einer feinen antiken Terrakotta gleichkommend.
Die Sezession hat mit dieser Ausstellung eine erziehliche Tat geleistet, die gewiß gute Früchte tragen wird.
Die Ausstellung fordert dadurch, daß diesmal das Porträt auffallend stark vertreten ist, zum Vergleich mit dem großen offiziellen Kunstmarkt heraus. Der Kontrast ist bezeichnend: im Künstlerhaus ausgesprochenes Raffinement, hier schlichteste Einfachheit, kaum daß einmal das Gleißen der Farben hinwegtäuscht über den Mangel an Charakter. Dafür sind hier in der Sezession gerade die Porträts interessant durch die psychologische Fassung des künstlerischen Problems, und was besonders auffällt, es werden auch einige Damen zu nennen sein, denen der Griff überzeugend gelungen ist. Den Typus des jeder „Schönheit“ grundsätzlich aus dem Wege gehenden Bildnismalers verkörpert am entschiedensten Leopold Gottlieb, dessen Herrenbildnis (Nr. 126) verdammt nahe an eine glänzende Detailcharakteristik aus der Biologie des Schmock herankommt. Die beiden Familienbilder von Leonhard Schuller sind reich an Qualität und vielversprechend. Der gestrenge Papa (Nr. 109) kann mit seinem Sohn zufrieden sein. Lili Schüller erzielt bei aller derben Technik einen momentanen Ausdruck, der den Beschauer beobachtend festhält. Diesen Dreien gegenüber erscheinen die Bildnisstudien von Wilhelm Thöny gesucht, so anziehend sie im einzelnen Fall auch sein mögen. Elsa Schwarz liefert eine selten starke Illusion der unmittelbaren Nähe, andere Damen halten sich an das Programm der Primitiven. Seltsam ist der Jenesier Bauer von Friedrich v. Radler. Eine Reihe prächtiger Blumenstücke bereitet darauf vor. Dann kommt der Bauer, in den Farben wie ein Bukett gebunden. Das führt zu den Modepuppen des Künstlerhauses.
Auf dem Gebiete der Landschaft bietet die Ausstellung manches Erfreuliche. Vor allem wetteifern Hans und Leo Frank um den Preis. Leos Bilder leuchten in den Farben aus einer inneren Stimmung heraus. Man vergleiche sie mit den Studien von Julius Wegerer. Der Ausdruck ist verwandt, aber das Ausdrucks mittel bei letzterem ein anderes, eintönige Farben in stimmungsvollem Ton. Hans Frank greift entschiedener zu, unter seinen Tierstudien in farbigem Holzschnitt findet sich ganz Vorzügliches. Wo er reale Wahrheit gibt, da bringt Norbertine Roth noch einen feinen Ein schlag von Märchenhaftem hinzu, so daß bei ihr zusammen mit der Guaschtechnik eine seltsame Wirkung entsteht. Im übrigen kommt Dachau zur Geltung in den Bildern von Grete Wolf u. a., andere bringen Motive aus der Umgebung Wiens, wie Max Kahrer, oder holen sie von weit her, wie Heinrich Gollob. Einzelne Persönlichkeiten erwecken noch besonderes Interesse: Josef Kellner, der in etwas unruhiger Art massige Wolken schiebt; Baronin Lenore Bach, die sich berauscht an dem saftigen Grün, das zwischen Sonne und Schatten spielt, und Stanislaus Galek, der die Jahreszeiten in Blüte und Sturm an uns vorüberziehen läßt. Man wird schon beim Lesen des Berichtes über die beiden dominierenden Gruppen empfinden, daß da bei den Jungen der Sezession mehr ursprüngliche Frische, ein größerer Reichtum der Beobachtung und Gestaltung vorliegt als in den wohlakkreditierten und reich mit allerhand Prämiensegen ausgestatteten Kreisen, die als die privilegierten Vertreter der bildenden Kunst in Wien austreten. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man den Verantwortlichen Stellen neuerdings predigen wollte, die Mittel doch lieber an die ringenden Jungen zu wenden, es werde dabei für Oesterreich mehr heraus kommen, als wenn die Gelder immer wieder der gleichen Clique zufließen. Unter den jungen Leuten der Sezession ist gewiß eine ganze Anzahl, die sich mühselig in den einfachsten Lebenssorgen über Bord hält. Und wie ringen sie rein ohne die materiellen Nebenabsichten der Privilegierten um die edelsten Ziele der Kunst!
Ein Zweites, das sich auf dieser Ausstellung der Sezession aufdrängt, ist, daß in diesem Rin gen die Frau nicht etwa als geduldet oder schwächer austritt, sondern neben dem Manne als durchaus ebenbürtige Mitstrebende erscheint. In dieser klaren Tatsächlichkeit ist der Eindruck noch auf keiner Wiener Kunstausstellung zutage getreten. Solch ehrliches Dulden und vorurteilsfreies Geltenlassen fällt um so mehr auf, als die Damen im Arbeitsausschuß der Ausstellung nur durch Grete Wolf im Plakat, nicht aber in der Jury vertreten sind. Es wäre zu wünschen, daß sich der Kamps der arbeitenden Frau um die Gleichberechtigung mit dem Manne überall in dieser mustergültigen, auf Anerkennung der tüchtigen Leistung begründeten Form abspielte. Die Sezession ist darin mit gutem Beispiel vorangegangen. Das immer etwas peinliche Auftreten der Frauen in gesonderten Gruppen ist dadurch überflüssig gemacht. Die Frauen neigen dazu, sich persönlich zwischen den Beschauer und ihr Werk zu stellen; davon ist in der Sezession, Gott sei Dank, nichts zu merken. Die Werke sprechen für sich, die Künstler, ob Männlein oder Weitstem, bleiben aus dem Spiel.
Neben Porträt und Landschaft kommen aus der Ausstellung noch andere Gruppen stark zur Geltung, die man sonst heute gern beiseite schiebt: Bilder, die nicht so sehr durch die der Natur abgelauschten Motive oder durch Lösungen auf dem Gebiete von Form und Farbe wirken. sondern in erster Linie vom Beschauer Verständnis für ihre gegenständlichen oder seelischen Werte verlangen. Züge dieser Art machten sich schon in Porträt und Landschaft geltend. Es sind andere Maler da, die kalt lassen, so lange sie rein nach einer bestimmten Manier vor der Natur schaffen. Dahin gehört zum Beispiel F. A. Harta. Er fesselt sofort, wo er in seine Malerei einen sittenbildlichen Zug einfließen läßt. So seine „Volksszene“ in Brügge. Was ist das für eine köstliche Kleinstadtironie, wie die ungeschlachten Spießbürger sich fassungslos um das Welt wunder einer toten Katze versammeln! Oder aus dem gleichen Milieu heraus das bretonische Ehepaar von Stephi Gartenberg. Der „Zazer Florian“ von Rudolf Hirschenhauser ist ein kleines Kabinettstück, und das dicke Schwein auf buntem Pfühl von Rudolf Kriser ebenfalls eine ganz respektable Leistung. Ob es nicht vernünftiger ist, solche harmlose Stücke zuzulassen, als auf die Dauer die widerlichen Zoten von Egon Schiele zu dulden? Auch was dieser einst so vielversprechende Führer der Jungen aus dem Gebiete der Landschaft leistet, ist allmählich nichts als Manier. Schade um das große Talent, Las hier zugrunde geht.
Eine Grupps von Symbolikern prägt sich dem Gedächtnis ein. Da ist zunächst Erich von Lamm mit seiner Vision „Aschermittwoch“, den „Herbstwolken“, einem Bilde, in dem das brennende Haus die düstere Stimmung verstärkt, und dem „Jungen Mädchen“, worin bei aller Feinheit der Tonwerte doch die Scheu im Ausdruck des Gesichtes den entscheidenden Wert bedeutet. Eduard Stella zeigt in seinem „Adonis moribundus“ ein Suchen nach Wirkungen, wie sie Hodler oder Signorelli auslösen, dazu noch einen Einschlag von Sascha Schneider, also von allem etwas. Dagegen berührt durchaus originell M. Jakimowicz aus Jaslo mit seinen Tuscharbeiten, die grau in grau Phantasien bieten, an denen über des Gedankens Blässe hinaus das starke Gewächs der menschlichen Gestalten fesselt. „Christus“, ein seltsam umrissener Heller Fleck, dadurch entstanden, daß der Erlöser die Hände mit den Wundmalen über dem Haupte ausbreitet. In der „Muse“ die Formkraft eines Feuerbach: es wäre schade, wenn diese Begabung ohne die nötige Pflege bliebe.
Auch in der Gruppe der graphischen Arbeiten und Handzeichnungen fällt manches Gute auf. Grotesken, wie die Algraphien „Die sieben Lasterteufel“ von K. F. Bell, stehen da neben vorzüglichen Akten, wie denen von Alfeo Argentieri. Unter den Plastiken fällt der weibliche Kopf in Wachs von M. M. Lust auf, in der Wirkung einer feinen antiken Terrakotta gleichkommend.
Die Sezession hat mit dieser Ausstellung eine erziehliche Tat geleistet, die gewiß gute Früchte tragen wird.
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XLIII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs SecessionVienna Secession, Vienna, 22nd Jan.–26th Feb. 1913